Machtkampf in Russland: "Keiner weiß, wem er vertrauen kann"

    Interview

    Machtkampf in Russland:"Keiner weiß, wem er vertrauen kann"

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    In Moskau tobt ein Machtkampf, während die ukrainische Gegenoffensive weitergeht. Militärexperte Lange über die Folgen des Wagner-Aufstands für den Kreml und die Lage an der Front.

    Surowikin vor ukrainischer Karte
    ZDFheute live mit aktuellen Einschätzungen zum Ukraine-Krieg.29.06.2023 | 23:48 min
    In Russland deutet sich nach dem Wagner-Aufstand ein erzwungener Wechsel in der militärischen Führung an. Die Ukraine versucht derweil mit ihrer Gegenoffensive eigenes Territorium zurückzuerobern. Militärexperte Nico Lange spricht bei ZDF heute live über den Machtkampf in Moskau, die Situation an der Front und wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine enden könnte.
    Sehen Sie das ganze Interview oben im Video oder lesen Sie hier Auszügen. Das sagt Nico Lange ...

    ... zur mutmaßlichen Festnahmen von General Surowikin

    Mit Blick auf die Gerüchte um eine Festnahme von Russlands Vize-Generalstabschef erklärt Lange, dass man "seit Tagen nichts" von Surowikin gehört habe. Für den Kreml sei es allerdings schwer, mit der Situation umzugehen. Surowikin habe "große Erfolge in Syrien aus russisscher Perspektive erreicht".
    "Er hat viel Ansehen bei vielen in Russland. Also den kann man auch einfach nicht so verschwinden lassen." Es sei "rätselhaft, was in Russland da gerade vor sich geht", sagt Lange.

    Nico Lange
    Quelle: Tobias Koch

    ... arbeitet für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Von 2004 bis 2006 forschte und lehrte er in St. Petersburg. Später leitete er die Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und in den USA. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.

    ... zu Beziehungen zwischen russischen Militärs und der Wagner-Gruppe

    Lange sieht eine gewissen Nähe zwischen hochrangigen russischen Militärs und der Wagner-Gruppe. "Die kennen sich natürlich alle gut.

    Weil der russische Geheimdienst GRU die Wagner-Gruppe angeheuert hatte, damit 'Drecksaufgaben' erledigt werden.

    Nico Lange, Militärexperte

    "Damit die Dinge gemacht werden, die man eigentlich normalerweise nicht tun kann." Man habe dieses Vorgehen so darstellen können, als seien es private Handlungen gewesen.
    Mittlerweile habe der russische Präsident Wladimir Putin zugegeben, "dass die Finanzierung der Wagner-Truppe aus dem russischen Staatshaushalt erfolgt ist". Die Wagner-Gruppe sei "wie eine verlängerte Werkbank des russischen Geheimdienstes" gewesen. "Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die sich alle untereinander kennen."
    : Polizisten bewachen einen Bereich in der Nähe eines Büros des «PMC Wagner-Zentrums», das mit dem Eigentümer der privaten Söldnergruppe Wagner, Prigoschin, verbunden ist.
    Nach dem abgebrochenen Aufstand eröffnet Putin den Söldnern der Wagner-Gruppe die Möglichkeit, nach Belarus zu gehen.27.06.2023 | 1:33 min

    ... über die Machtverhältnisse in Russland nach dem Wagner-Aufstand

    Angesichts des kurzzeitigen Wagner-Aufstandes sagt Lange, würden sich in der russischen Führungsriege nun "die Loyalitäten" neu sortieren - "jeder versucht, irgendwie seine eigene Position zu sichern".

    Keiner weiß, wem er vertrauen kann und wem er nicht vertrauen kann.

    Nico Lange, Militärexperte

    Daher habe auch bei Putins Treffen mit seinen Sicherheitskräften eine "eiskalte" Stimmung geherrscht, sagt Lange. "Da läuft hinter den Kulissen sicherlich viel, und sicher wird auch Putin sich die Frage stellen: Wem kann ich eigentlich noch vertrauen in meinen eigenen Streitkräften?" Keiner sei bei dem Aufstand von Wagner-Chef Prigoschin für Putin in die Bresche gesprungen.

    Möglicherweise ist die Verhaftung von Surowikin erst der Anfang eines Prozesses, wo Putin ein bisschen aufräumt.

    Nico Lange, Militärexperte

    ... zur ukrainischen Gegenoffensive und der Lage in Bachmut

    Lange ist skeptisch, ob der Ukraine eine schnelle Veränderung der militärischen Situation gelingen kann: "Die Minenfelder, die Luftüberlegenheit der russischen Seite, das ist einfach weiter da und macht ja in den meisten Frontabschnitten nur ein ganz langsames Vorgehen möglich."
    ZDF-Korrespondent Dara Hassanzadeh zugeschaltet aus der Saporischja
    Minenfelder verlangsamen die ukrainische Gegenoffensive, sagt ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh.29.06.2023 | 3:57 min
    Eine Ausnahme sei die Lage in Bachmut. Nach dem Abzug der Wagner-Truppe sei es von russischen Streitkräften besetzt worden. "Die sind aber häufig nicht so leistungsfähig, auch nicht so erfahren, vielleicht auch nicht so skrupellos wie die Wagner-Kämpfer." Die Ukraine versuche dort Gegenangriffe. Es habe heute mehrere Meldungen gegeben "dass die Ukraine sowohl nördlich von Bachmut als auch südlich von Bachmut wichtige Höhenzüge erreicht hat".

    Die Russen sind da massiv unter Druck, haben wohl auch Reserven dazugezogen.

    Nico Lange, Militärexperte

    Es scheine so zu sein, "dass die Ukrainer in Bachmut Erfolge erzielt haben und vielleicht vieles, was die Wagner-Gruppe unter hohen Verlusten in vielen Monaten erobert" habe, nun in wenigen Tagen zurückerobern konnte. Auch sieht er einen ersten Erfolg darin, dass es ukrainischen Einheiten gelungen sei, auf das linke Dnipro-Ufer vorzustoßen.

    ... dazu, wie der Ukraine-Krieg enden könnte

    Das sei in zwei Fällen möglich: "Ein Russland ohne Putin, vor dem man keine Angst haben sollte".

    Wir sollten keine Angst haben, dass dann irgendwas schlimmeres passiert. Ich glaube, schlimmer als Putin kann es nicht werden.

    Nico Lange, Militärexperte

    Die zweite Option sei es, dass der Westen der Ukraine weniger zögerlich Waffen und Munition liefere, sondern den Ukrainern das gebe, was nötig sei, um Russland vom ukrainischen Gebiet zu vertreiben. Erst dann sei Frieden möglich, sagt Lange.
    Es sei schon lange an der Zeit, F-16-Kampfjets bereitzustellen. Es dauere zwar noch eine Weile, um eine logistische Kette dafür zu schaffen, allerdings glaubt Lange, dass diese in "einigen Monate" in der Ukraine zu sehen seien.
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    Quelle: ZDF
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