Aachener Vertrag: Darum kriselt es zwischen Berlin und Paris

    Fünf Jahre Aachener Vertrag:Berlin und Paris: Ziemlich fremde Freunde?

    Studioleiterin Susanne Freitag-Carteron, ZDF-Landesstudio Saarland, mit Mikrofon.
    von Susanne Freitag-Carteron
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    Deutschland und Frankreich feiern fünf Jahre Aachener Vertrag. Die Bilanz: Auf Politik-Ebene waren die Beziehungen schon mal besser, Bürgerprojekte aber sind ein Hit.

    Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprechen miteinander.
    Es lief schon mal besser in der Freundschaft zwischen Emmanuel Macron und Olaf Scholz. Hier diskutieren beide vor einem Jahr in einen Pariser Bistro.
    Quelle: dpa

    Ein deutsch-französischer Empfang in Saarbrücken, ein binationales Chorkonzert in Karlsruhe, Vorträge, Filmvorführungen, Feste von Ostdeutschland bis Südfrankreich. Der 22. Januar hat sich als Feiertag der deutsch-französischen Freundschaft etabliert. Der Élysée-Vertrag wird 61 Jahre alt, der Aachener Vertrag feiert fünften Geburtstag.
    Der französische Präsident Emmanuel Macron kommt an diesem 22. Januar nach Berlin. Er wird im Bundestag das Wort ergreifen, zum Trauerstaatsakt für Wolfgang Schäuble. Vor fünf Jahren hatte Schäuble die im Aachener Vertrag vereinbarte deutsch-französische Parlamentarierversammlung noch mit auf den Weg gebracht.
    Wolfgang Schäuble am 23.06.2021 in Berlin
    Der frühere Minister Wolfgang Schäuble war im Alter von 81 Jahren verstorben.27.12.2023 | 14:28 min
    Bundeskanzler Olaf Scholz und Macron werden sich anschließend über Europa und die Situation im Krieg gegen die Ukraine austauschen. Bis jetzt wirken die beiden noch nicht wie ein zufriedenes deutsch-französisches Paar. Große Symbole und Gesten - Fehlanzeige.
    "Beziehungsstatus kompliziert", analysiert Claire Demesmay. Die Gastprofessorin am Cluster für Europaforschung der Universität des Saarlandes leitete zuletzt ein Expertenforum. Es fühlte dem Aachener Vertrag an seinem fünften Geburtstag auf den Zahn. Acht Fachleute waren sich einig: Der Vertrag hat Potential, das aber wird nicht ausgeschöpft. Und: Der Krieg gegen die Ukraine belastet das Verhältnis.

    Große Unterschiede zwischen Ländern werden deutlicher

    Verteidigungs- und Energiepolitik bleiben die Dauer-Differenzen zwischen beiden Ländern. "Durch den Krieg sind die großen Unterschiede zwischen beiden Ländern noch deutlicher geworden", sagt Demesmay.

    In der Verteidigungspolitik ist es fast unmöglich, Kompromisse zu finden, die Militärkulturen beider Länder liegen viel zu weit auseinander.

    Claire Demesmay, Gastprofessorin Europaforschung der Universität des Saarlandes

    Ein weiteres Problem: Der zunehmende rechtsnationale Populismus in beiden Ländern im Europawahljahr. Es bleibt Luft nach oben.

    Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron haben 2019 einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Er dient dazu, die "Beziehungen auf eine neue Stufe zu heben", wie es im Entwurf heißt.

    Frankreichs Präsident Macron hatte das Abkommen im September 2017 in seiner Rede an der Pariser Sorbonne-Universität angeregt.

    Der Aachener Vertrag knüpft an den 1963 von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichneten Élysée-Freundschaftsvertrag an. Kernpunkte sind eine vertiefte Zusammenarbeit in der Europapolitik, der Verteidigung sowie in der Außen- und Entwicklungspolitik. Auch eine engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts-, Umwelt- und Klimapolitik sowie in Kulturfragen wird angestrebt.

    Beide Politiker kämpfen an eigenen Fronten

    Olaf Scholz und Emmanuel Macron sind derzeit mit sich selbst beschäftigt. Der eine kämpft mit Problemen der Ampel-Koalition, der andere mit fehlenden Mehrheiten in der Nationalversammlung. Kabinettsumbildungen machen den Dialog nicht leichter.
    "Annalena Baerbock ist jetzt seit zwei Jahren im Amt, sie hat kürzlich ihren dritten französischen Amtskollegen begrüßt", sagt Michael Scharfschwerdt, Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. "Das heißt aber nicht, dass auf den Ebenen darunter nicht trotzdem gute Zusammenarbeit läuft".

    Das ist mir am Ende lieber, als wenn wir schöne Fotos haben.

    Michael Scharfschwerdt, Leiter Planungsstab Auswärtiges Amt

    Vertrag will auch Grenzregionen stärken

    Der Aachener Vertrag sieht auch eine Stärkung der Grenzregionen vor, eine Experimentierklausel soll Sonderregelungen ermöglichen. In der Praxis hakt es noch. Im saarländischen Grenzgebiet versuchen sie seit Jahren einen "Gesundheitskorridor" einzurichten, der die freie Arztwahl in beiden Ländern ermöglicht.
    krankenpflegerin schiebt krankenbett durch einen flur
    Im Bereich Gesundheit enger zusammenarbeiten - Ziel der MOSAR Vereinbarung, unterzeichnet von Vertretern aus Deutschland und Frankreich. Sie stößt aber in manchen Fällen an Grenzen.16.01.2023 | 5:06 min
    Jedoch, so Florian Weber, Juniorprofessor für Europastudien: "Französische Schlaganfallpatienten in Grenznähe werden immer noch nach Metz, Nancy oder Straßburg gebracht, über 100 Kilometer, statt 15 Kilometer bis zur Klinik in Saarbrücken. Der Frust bei den Akteuren steigt".

    Deutsch-französischer Bürgerfonds größter Erfolg

    Der größte Erfolg des Aachener Vertrages ist eindeutig der deutsch-französischen Bürgerfonds, eine finanzielle Förderung grenzüberschreitender Privatinitiativen. 900 Projekte wurden im letzten Jahr gefördert, vor drei Jahren waren es noch 300, berichtet Benjamin Kurc, der den Fonds leitet. "Die meisten Initiativen kommen aus Orten mit unter 5.000 Einwohnern." Landwirte vernetzen sich, es gibt länderübergreifend Gartenprojekte, Multimedia-Events, Podcasts.
    "Das bildet ein solides Beziehungsgeflecht zwischen den Bürgern", sagt Claire Demesmay. Sie meint weiter:

    In Zeiten von politischen Schocks und Krisen bildet sie eine Art Sicherheitsnetz der Zivilgesellschaft.

    Claire Demesmay, Gastprofessorin Europaforschung der Universität des Saarlandes

    "Deutsch-französischer Tag ist jeden Tag", steht auf der Webseite des Fonds. Der hofft auf viele Projekte, die am Ende genauso wichtig sind, wie die Symbolbilder, die die Staatschefs derzeit noch vermissen lassen.
    Susanne Freitag-Carteron leitet das ZDF-Landesstudio Saarbrücken.

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