Ärztin im Gazastreifen: "Unfassbare Katastrophe für Kinder"
Interview
Therapeutin im Gaza-Einsatz:"Unfassbare Katastrophe für Kinder"
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Die Notfalltherapeutin Katrin Glatz Brubakk hat schwerverletzte Kinder im Gazastreifen behandelt. Sie berichtet über "unglaubliches Leid" und Versorgungsnotstand im Kriegsgebiet.
Krieg und humanitäre Katastrophe: Alltag von Kindern in Flüchtlingscamps im Gazastreifen.
Quelle: Imago
ZDFheute: Sie sind vor wenigen Tagen aus dem Kriegsgebiet des Gazastreifens in Ihre Heimat Norwegen zurückgekehrt. Auf den ersten Blick wirken Sie entspannt, ruhig. Wie geht es Ihnen wirklich?
Katrin Glatz Brubakk: Ich war für die "Ärzte ohne Grenzen" fünf Wochen im Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis auf der Station für Orthopädie und Verbrennungen - und vieles von dem, was ich dort erlebt habe, bewegt mich innerlich sehr und lässt mich noch nicht los.
Die Bilder von so vielen schwerverletzten Menschen, die nach Bomben- und Raketeneinschlägen zu uns gebracht wurden. Menschen, denen zum Beispiel das halbe Gesicht gefehlt hat, ein Arm oder beide Beine.
Glatz Brubakk: Manche von ihnen haben unter den Trümmern zerstörter Häuser gelegen. Sie hatten Knochenbrüche oder ihnen mussten Gliedmaßen amputiert werden. Andere litten unter schweren Verbrennungen.
Viele haben Geschwister oder Elternteile verloren - oder sogar die ganze Familie. Wenn diesen Kindern zum Beispiel die Bandagen gewechselt wurden, dann haben sie nicht aus körperlichem Schmerz geweint, sondern sie sind durch den Anblick ihrer Wunden wieder an die extreme Stresssituation erinnert worden - etwa, wie sie unter Trümmern gefangen waren.
Die Versorgungslage in Gaza ist dramatisch, laut den Vereinten Nationen herrscht eine Hungersnot. 10.07.2024 | 1:53 min
ZDFheute: Wie haben Sie versucht, diesen Kindern zu helfen?
Glatz Brubakk: Als Spezialistin für Traumatherapie habe ich das Team des Nasser-Krankenhauses in der täglichen Arbeit unterstützt. Mein Job nennt sich "Mental Health Activity Manager" - im Prinzip geht es darum, einen Überblick zu gewinnen, wer welche Hilfe am nötigsten hat. Und sich dann darum zu kümmern, dass er oder sie diese Hilfe auch bekommt.
Im Einzelfall geht es dann immer darum, einen Kontakt zu dem Kind aufzubauen und ihm ein möglichst ruhiges Umfeld zu bieten, in dem es sich geborgen fühlen kann.
Quelle: privat
… ist eine norwegische Kinderpsychologin und Expertin für Traumatherapie. Sie arbeitet hauptberuflich als Assistenzprofessorin an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens mit Sitz in Trondheim. Zudem ist sie seit vielen Jahren für die internationale Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" im Einsatz, etwa im ehemaligen griechischen Flüchtlingslager Moria und im heutigen Lager Mavrovouni. Über ihre Erfahrungen dort veröffentlichte sie im Frühling 2024 mit der Journalistin Guro Kulset Merakeras das Buch "Inside Moria - Europas Verrat an Moral und Menschlichkeit".
ZDFheute: Ist das dort aktuell überhaupt möglich?
Glatz Brubakk: Das ist tatsächlich der wunde Punkt - wir haben in der Klinik jeden Tag Explosionsgeräusche gehört.
Trotzdem haben wir versucht, diesen Kindern in Situationen beizustehen, in denen sie unglaubliches Leid ertragen mussten.
Und ja: Diese Arbeit ist wegen der immensen Anzahl von Verletzten nur ein kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein. Es ist manchmal zum Verzweifeln, da fühlen auch wir professionellen Helferinnen und Helfer uns ohnmächtig. Aber es gibt auch Erfolge, kleine Glücksmomente.
Die norwegische Notfalltherapeutin Katrin Glatz Brubakk bei ihrem Einsatz im Gazastreifen.
Quelle: privat
ZDFheute: Was war für Sie einer dieser kleinen Glücksmomente?
Glatz Brubakk: Ich denke da zum Beispiel an einen fünfjährigen Jungen; Seine Mutter trug ihn schwerverletzt auf unsere Station. Eines seiner Beine war völlig zerfetzt, musste amputiert werden. Der Junge hatte unglaubliche Schmerzen. Mehr noch: Er hatte seinen Vater sterben sehen. Der Junge war in den Tagen nach der Operation völlig apathisch.
In den wenigen Stunden, die er wach war, wollte er mit keinem sprechen, er hat sich von der Welt abgewendet. Wir haben dann auch mithilfe seiner Mutter versucht, behutsam in Kontakt mit ihm zu kommen, mit ihm über seinen Vater zu sprechen, über den Verlust - aber auch über schöne Dinge im Leben.
Dieser Junge hat sich über Wochen zurückgekämpft - erst hat er manchmal zaghaft gelächelt. Später konnte er sich im Spiel sogar manchmal so sehr freuen, dass er mit uns gelacht hat. Das ist zumindest ein hoffnungsvoller Anfang eines langen Weges für dieses Kind.
ZDFheute: Was braucht dieser Junge, was brauchen die anderen verletzten, traumatisierten Kinder im Gazastreifen jetzt vor allem?
Glatz Brubakk: Dieser Junge bräuchte ein sicheres, stabiles Umfeld, um sich erholen zu können. Er bräuchte eine umfangreiche medizinische Wundversorgung und eine psychotherapeutische Betreuung. Er bräuchte auch eine Beinprothese, um wieder laufen zu können. Aber all das gibt es im Kriegsgebiet kaum oder gar nicht.
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