Experte zu Geiseln: Hamas will "maximalen Druck" auf Israel

    Experte zu Geiseln in Gaza:Hamas will "maximalen Druck" auf Israel

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    239 Geiseln hat die Hamas laut Israel in den Gazastreifen verschleppt. Einzelne freizulassen, sei dazu da, "maximalen Druck in Israel aufzubauen", sagt Sicherheitsexperte Conrad.

    Sicherheitsexperten Gerhard Conrad
    Die Hamas habe ein Interesse daran, die Geiseln vor Schäden zu schützen, so Sicherheitsexperte Gerhard Conrad. Trotzdem drohe vielen eine lange Gefangenschaft.30.10.2023 | 15:03 min
    Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln, die beim Hamas-Großangriff am 7. Oktober neben den laut Israel etwa 1.400 getöteten Menschen verschleppt wurden, soll inzwischen auf 239 gestiegen sein. Welches Kalkül der islamistischen Terrororganisation Hamas hinter der Freilassung einzelner Personen stecken könnte - über diese und weitere Fragen hat der Sicherheitsexperte und Ex-Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Nahost, Gerhard Conrad, bei ZDFheute live gesprochen.
    Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Conrad über …

    … das Kalkül der Hamas, auch Geiseln freizulassen

    Diese Aktionen seien dazu da, "maximalen Druck in Israel aufzubauen und gegebenenfalls auch weltweit", sagt der Sicherheitsexperte und erklärt zu den taktischen Motiven der Hamas:

    Hamas zeigt: Erstens, wir haben sie, zweitens, wir sind bereit, sie durchaus auch freizugeben.

    Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte

    Es sei im Sinne der Terrororganisation, die Verschleppten "vor Schäden durch die Kriegshandlungen zu schützen. Allein schon aus Eigeninteresse, weil sie mit den Geiseln natürlich viel vorhat." Diese könne sie, wenn die Hamas den Krieg überlebe, "zu umfassenden Verhandlungen und natürlich Erpressungen Israels nutzen", sagt Conrad.
    Die Geiseln, die bisher entlassen wurden, seien - so der Anschein - nach der Gefangennahme "manierlich" behandelt worden - "jedenfalls ist das das, was wir in der Öffentlichkeit gehört haben", fügt Conrad hinzu. Auch die Soldatin, die nun befreit wurde, habe sich dem Vernehmen nach in einem guten Zustand befunden, erklärt Conrad.
    Angehörige demonstrieren in Tel Aviv für die Hamas-Geiseln im Gazastreifen.
    Der Tod der deutschen Geisel Shani Louk ist bestätigt. Die Hamas veröffentlicht zudem ein Video mit drei weiblichen Geiseln. Eine israelische Soldatin konnte heute befreit werden. 30.10.2023 | 2:01 min
    Die Hamas wolle es in der Öffentlichkeit so darstellen, dass es nicht an ihr liege, "sondern ausschließlich an der Regierung Netanjahu" - das sei das kalkulierte Narrativ. Es sei zu befürchten, dass den Geiseln noch eine lange Gefangenschaft drohe.

    … den Spielraum, Geiseln auf diplomatischen Wegen zu befreien

    Vermitteln können nach Auffassung von Conrad nur Staaten, dessen Geheimdienste, Diplomaten oder Politiker gesprächsfähig seien sowohl gegenüber Hamas als auch Israel. Zwei Staaten sieht Conrad dabei als Option:

    Derzeit sind das letzten Endes Katar, wie wir sehen und es ist Ägypten.

    Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte

    Das seien "beides Staaten, die über langjährige Beziehungen zur Hamas verfügen", so Conrad. Das sei nun "extrem nützlich". Über Katar sollen, sagt Conrad, bereits derartige Gespräche gelaufen sein.
    Neben diplomatischen Bemühungen könne aus Hamas-Sicht auch eine Freilassung "eines Teils der Geiseln, also zum Beispiel Frauen, Kinder, Kranke" sinnvoll sein, meint der Sicherheitsexperte. Diesen Personenkreis "loszuwerden", könne für die Hamas eine taktische Erleichterung sein.
    Israel-Korrespondent Luc Walpot in Tel Aviv im Gespräch mit Moderator Christopher Wehrmann.
    Die Situation der mehr als 200 Geiseln in Händen der Hamas wird in Israel kontrovers diskutiert. Die Regierung Netanjahu steht unter Druck. Luc Walpot berichtet aus Tel Aviv.30.10.2023 | 1:26 min

    … die Aussichten, Hamas zu zerschlagen

    Conrad hält eine erfolgreiche Zerschlagung der Hamas für schwierig. "Es ist nicht nur die Ideologie, die weiterlebt", sagt er. Durch die enge Verflechtung der Hamas-Infrastruktur mit ziviler Infrastruktur sei es schwer, die Terrorgruppe zu zerschlagen, "auch wenn sie die Führungskräfte mehrheitlich außer Gefecht setzen würden".
    Die operative Handlungsfähigkeit der Hamas militärisch zu schwächen, sei eine Möglichkeit, so Conrad. "Das hat zunächst einmal für einen gewissen Zeitraum durchaus seine Auswirkungen." Der Sicherheitsexperte merkt jedoch an:

    Aber da sind wir noch nicht.

    Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte

    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
    ZDFheute Infografik
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    … den Zeitrahmen, auf den man sich einstellen muss

    Hier müsse man sich zunächst die militärische Dynamik ansehen und beobachten, ob es sich zu einem "langfristig angelegten Konflikt hinentwickelt", so Conrad. Dabei sei die Frage, ob Israel innen- als auch außenpolitisch durchhalten könne.

    Das ist eine offene Frage. Da zeigt die Erfahrung, eigentlich eher nicht.

    Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte

    Führende Köpfe der Hamas
    Der Angriff der Hamas kam für Israel völlig überraschend. Doch wer steckt hinter den Terroristen, wer sind die Anführer?30.10.2023 | 2:09 min
    Dennoch sieht Conrad auch die Möglichkeit, dass Hamas selbst "um des eigenen Überlebens willen" Kompromisse eingehe. Dies müsse ihn jedoch von ägyptischer oder katarischer Seite nahegebracht werden, sagt Conrad. Auch Israel müsse dabei mitspielen, doch dies würde dann dem erklärten Ziel entgegenstehen, "sich ein für alle Mal dieser Organisation (Hamas) zu entledigen".
    Man könne auf einen schnellen Verlauf des militärischen Konflikts hoffen, müsse aber mit einem langen Verlauf rechnen, bilanziert Conrad die Lage.

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
    Liveblog
    Quelle: ZDF

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