Fall Gershkovich: "Putin hat Evan als Geisel genommen"

    Interview

    Inhaftierter US-Reporter:"Putin hat Evan als Geisel genommen"

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    Evan Gershkovich wird wegen angeblicher Spionage in Moskau festgehalten. Bei ZDFheute schildert Anton Troianovski, Bürochef der New York Times in Moskau, die Lage seines Freundes.

    Evan Gershkovich und Anton Troianovski
    Evan Gershkovich (rechts) und Anton Troianovski. (Archivbild)

    Der russische Geheimdienst hat den 31-jährigen US-Reporter Evan Gershkovich wegen angeblicher Spionage verhaftet. Ihm drohen 20 Jahre Haft. Anton Troianovski, Moskauer Bürochef der New York Times, schildert die Lage seines Freundes.
    ZDFheute: Letzten Mittwoch ist Evan Gershkovich vom russischen Geheimdienst FSB verhaftet worden. Ihm wird "Spionage im amerikanischen Interesse" vorgeworfen. Was hören Sie über seine Lage?
    Anton Troianovski: Wir haben die Hoffnung, dass ihn vielleicht im Laufe der Woche ein Anwalt oder ein Mitarbeiter der Botschaft besuchen kann. Evan wurde ins Gefängnis Lefortowo nach Moskau gebracht, das als eines der schlimmsten Gefängnisse in Russland gilt. Es wird vom FSB betrieben und die Menschen, die dort inhaftiert sind, werden weitgehend isoliert. Die Redaktion hatte bisher keinen Kontakt zu Evan und deswegen ist es jetzt im Moment sehr schwer zu wissen, wie es ihm geht.
    [Zum Zeitpunkt des Interviews sagte Anton Troianovski, niemand habe Kontakt zu Evan gehabt. Inzwischen hat ihn ein Gefängnisbeauftragter besuchen können, wie Troianovski mitteilte.]

    Die Vorwürfe gegen ihn sind jedenfalls absurd. Ihm drohen 20 Jahre Haft. Und man muss ganz klar sagen: Wladimir Putin hat Evan als Geisel genommen.

    Anton Troianovski

    Anton Troianovski, Leiter des Moskauer Büros der New York Times
    Quelle: ZDF

    ...ist seit 2021 Leiter des Moskauer Büros der New York Times. (Quelle: New York Times)

    ZDFheute: Sie selbst leiten zur Zeit das Moskauer "New York Times"-Büro von Berlin aus. Evan hat für das "Wall Street Journal" gearbeitet und war in Moskau vor Ort. Wie gefährlich ist es für ausländische Journalisten in Russland?
    Anton Troianovski: Mit Beginn des Krieges haben alle Medien, die in Russland Korrespondenten haben, immer wieder geprüft: Wie hoch sind die Risiken? Die Sicherheit der Journalisten hat höchste Priorität.

    Aber es gibt eben auch die Priorität, über Russland zu berichten, und dafür braucht es auch Journalisten vor Ort.

    Anton Troianovski

    Im März 2022 hat die "New York Times" die Entscheidung getroffen, alle Korrespondenten aus Russland abzuziehen. Der Grund war das Zensurgesetz, nach dem man für 15 Jahre ins Gefängnis kommen kann, wenn man unabhängig über den Krieg berichtet. Seitdem gab es immer wieder Risikoabwägungen und wir und auch andere Medien wie das "Wall Street Journal", für das Evan berichtet hat, haben langsam wieder angefangen, in Russland zu arbeiten. Evan und viele andere waren und sind ja ganz offiziell in Russland, mit Akkreditierung des Außenministeriums.

    Jetzt aber wurde eine neue rote Linie überschritten und ausländische Journalisten sind zu potenziellen geopolitischen Geiseln geworden.

    Anton Troianovski

    ZDFheute: Manche sagen, dass es Putin bei einem möglichen Gefangenenaustausch auch um russische Gefangene in europäischen Gefängnissen gehen könnte, vielleicht sogar um den in Berlin inhaftierten sogenannten Tiergartenmörder. Wie schätzen Sie das ein?
    Anton Troianovski: Eigentlich ist es noch zu früh zu sagen, wie das laufen wird. Leider ist es so, dass bei den letzten Gefangenenaustauschen Russland erst nach einem Gerichtsprozess und einem Urteil zum Austausch bereit war.

    Spionageprozesse in Russland dauern sehr lange, manchmal über ein Jahr - da kann noch viel passieren.

    Anton Troianovski

    Aber ja, es stimmt, dass zum Beispiel im letzten Jahr, als über die Freilassung der amerikanischen Basketballspielerin Brittney Griner verhandelt wurde, die Russen den Amerikanern gesagt haben, dass sie gerne den "Tiergartenmörder" austauschen würden. Das ist nicht passiert, aber man kann davon ausgehen, dass dieser Gefangene dem Kreml weiter wichtig ist.
    ZDFheute: Womit rechnen Sie jetzt?
    Anton Troianovski: Der letzte Amerikaner, von dem wir wissen, dass er verhaftet wurde wegen angeblicher Spionage in Russland, ist Paul Whelan und das war 2018. Er ist also jetzt schon mehr als 4 Jahre in russischer Gefangenschaft und wurde 2020 zu 16 Jahren Straflager verurteilt. Das sagt uns etwas darüber, wie ernst die Lage ist. Das ist ein gigantischer Angriff auf die Pressefreiheit und auf ausländische Berichterstattung.

    So wie es jetzt aussieht, bereiten sich die Russen vor, Evan sehr lange gefangen zu halten. Und deswegen ist es wichtig, dass sein Fall nicht vergessen wird und weltweit Aufmerksamkeit bekommt.

    Anton Troianovski

    ZDFheute: Sie sind auch ein Freund von Evan. Was glauben Sie, wie er mit seiner Lage umgeht?
    Anton Troianovski: Wir waren 4 Jahre lang zusammen in Moskau als Korrespondenten. Ich weiß, dass er Situationen sehr gut einschätzen kann. Er wusste, dass er mit seiner Arbeit in Russland ein Risiko eingeht - und er hat es trotzdem getan, weil ihm unser Beruf wichtig ist.

    Ich bin mir sicher, dass er im Gefängnis stark bleibt.

    Anton Troianovski

    Das Interview führte Andrea Maurer, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
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