Neue Recherchen zur Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines weisen auf eine sechsköpfige Gruppe hin. Ist das plausibel? Fünf Fragen zu einem der größten Sabotage-Akte unserer Zeit.
Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines gibt viele Rätsel auf. Neue Erkenntnisse weisen auf eine sechsköpfige Gruppe hin. Sie soll eine Jacht von Rostock aus gechartert und Sprengstoff an den Röhren in der Ostsee angebracht haben.
Die Recherche von ARD, SWR und der "Zeit" nennt Details zur Gruppe:
- ein Kapitän,
- zwei Taucher,
- zwei Tauchassistenten und
- eine Ärztin sollen einen der größten Sabotage-Akte der jüngeren Geschichte durchgeführt haben.
Demnach mietete eine Firma in Polen, die zwei Ukrainern gehören soll, die Jacht an. Das sechsköpfige Kommando wiederum besaß wohl gefälschte Pässe - ihre wahre Staatsangehörigkeit ist nicht bekannt.
Laut Recherchen von Frontal handelt es sich womöglich um eine Jacht des Typs Bavaria C50. Auch der "Spiegel" hatte von einem mehr als 15 Meter langen Segelboot mit Dieselmotor berichtet - mit dem Namen "Andromeda" und Platz für bis zu elf Personen. Das deckt sich.
Der Generalbundesanwalt hat im Januar ein Schiff auf Sprengstoff untersuchen lassen. Medienrecherchen zufolge steckt hinter dem Sabotageakt womöglich eine pro-ukrainische Gruppe.
Kann eine sechsköpfige Gruppe das alleine ausgeführt haben?
Daran gibt es enorme Zweifel. "Das kann man nicht mit einer kleinen Gruppe organisieren", sagt etwa der Experte für maritime Sicherheit von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Göran Swistek, im ZDF. Eine solche Sabotage-Aktion erfordere "jahrelange, monatelange Vorbereitung", Fachwissen und Ressourcen. Neben der Anmietung der Jacht und den professionell gefälschten Reisepässe geht es auch um die unter Wasser gezündeten Bomben und die Menge an Sprengstoff.
Ermittler schätzten im September, dass pro Explosion jeweils 500 Kilogramm TNT oder Sprengstoff mit vergleichbarer Wirkung erforderlich war.
Auch CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sagte im ZDF: "Da reicht nicht eine Jacht, sondern das müssen mehrere Schiffe gewesen sein."
Diese Einschätzungen müssen nicht gegen Erkenntnisse zur sechsköpfigen Gruppe sprechen. Sie könnte auch Teil einer größeren Aktion gewesen sein - doch das ist bislang nur Spekulation.
"Das kann man nicht mit einer kleinen Gruppe, so wie das jetzt gerade in den Medien dargestellt wird, organisieren", so Göran Swistek, Experte für maritime Sicherheit.
Kann die Sabotage-Aktion unbemerkt passiert sein?
Das Schiff soll am 6. September in Rostock gestartet sein - am 26. September explodierten die Röhren. Allein, um den Sprengstoff und die Zünder anzubringen, sind laut Göran Swistek mehrere komplizierte Tauchgänge nötig: "Ich muss runter, muss das Material mit nach unten nehmen, unten die Arbeiten verrichten und dann auch wieder aufsteigen." Um die Taucherkrankheit zu vermeiden, brauche man beim Aufsteigen mehrere Stunden.
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Von Rostock nach Christiansø: Ist der Weg des Schiffs plausibel?
Die Jacht vom Typ Bavaria C50 hat einen Tiefgang von mindestens 1,85 Meter. Laut ARD und "Zeit" ist das Schiff am 6. September 2022 von Rostock aus losgefahren, einen Tag später in Wieck am Darß und später an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, lokalisiert worden sein.
Was verwundert, ist der kleine Hafen von Wieck am Darß. Mit einer Wassertiefe von 1,40 Meter ist es wenig plausibel, dass ein 15-Meter-Segelschiff dort eingelaufen sein könnte. Der Hafenmeister in Wieck am Darß sagte am Mittwoch zur "Ostsee Zeitung": "Wiek auf Rügen würde mehr Sinn machen, wenn die gen Bornholm wollten." Auch gegenüber ZDF Frontal äußerte er Zweifel daran, ob sein Hafen der richtige sei.
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In Wiek auf Rügen wiederum bestätigt der Hafenbetreiber gegenüber ZDF Frontal, dass er Kontakt zu Ermittlern hatte: "Wir haben unsere Erkenntnisse dazu der Ermittlungsbehörde vor mehreren Wochen mitgeteilt." Im Januar habe es telefonischen Kontakt mit dem BKA gegeben und die Ermittler seien im Januar auch bei ihnen vor Ort gewesen. Ein Augenzeuge in Wiek auf Rügen berichtet ZDF Frontal zudem, dass er im September am Hafen eine sechsköpfige Gruppe - fünf Männer und eine Frau - beobachtet haben will, die kein Deutsch gesprochen habe.
Das spricht dafür, dass das Schiff von Rostock einen Zwischenhalt in Wiek (Rügen) gemacht hat - und nicht in Wieck am Darß. Die ARD schreibt mittlerweile auch, dass es sich um Wiek auf Rügen handelt.
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Was bedeutet "pro-ukrainisch"?
Die "New York Times", die kurz vor deutschen Medien berichtete, schreibt von einer "pro-ukrainischen Gruppe". US-Regierungsvertreter mit Zugang zu geheimdienstlichen Informationen gingen davon aus, "dass die Saboteure sehr wahrscheinlich ukrainische oder russische Staatsangehörige sind oder eine Kombination von beidem".
Die "Zeit" wird konkreter und schreibt von einer Firma in Polen, die zwei Ukrainern gehöre. "Von dort führen Verbindungen zu weiteren Ukrainern." Dass jemand einen ukrainischen Pass hat, sagt aber wenig über seine oder ihre Motive aus.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wies am Mittwoch darauf hin:
In dem brisanten Sabotage-Fall ermittelt der Generalbundesanwalt. Am Mittwoch teilte er lediglich mit: "Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen."
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Könnte die Ukraine hinter dem Anschlag stecken?
Darauf gibt es keine Hinweise. Kiew bestreitet, etwas mit den Sabotage-Akten zu tun zu haben. "Wir stehen nicht hinter dieser Tat", sagte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am Mittwoch. Der Präsidentenberater Michailo Podoljak erklärte, Kiew habe "nichts mit dem Vorfall in der Ostsee zu tun" und "keine Informationen über pro-ukrainische Sabotagegruppen'".
Russland beschuldigt interessanterweise weiterhin die "Angelsachsen" - also die USA und Großbritannien - für die Explosionen verantwortlich zu sein.
Fazit: In dem brisanten Sabotage-Fall bleibt vieles im Unklaren. Dass eine sechsköpfige Gruppe eine solch komplizierte Mission ohne weitere Hilfe ausgeführt haben soll, scheint unwahrscheinlich.
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