Die Ukraine bittet Deutschland um Marschflugkörper vom Typ Taurus. Bisher ist die Bundesregierung aber nicht bereit, diese an Kiew zu liefern. Doch was könnten die Waffen bringen?
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba fordert Deutschland auf, schnellstmöglich Taurus Marschflugkörper zu liefern. "Jeder weitere Tag mit Diskussionen, mit Koordinierungstreffen, mit Reflexionsprozessen kostet die Ukraine Menschenleben", sagt Kuleba dem Nachrichtensender "Welt". Die Entscheidung liege nun allein bei Bundeskanzler Olaf Scholz:
Der ukrainische Außenminister Kuleba drängt erneut auf die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper. Das anhaltende Zögern der Bundesregierung sorgt in Kiew für Frust.
Bisher war die Bundesregierung nicht bereit, diese Marschflugkörper an Kiew zu liefern. Als Grund für die bisher ausgebliebene deutsche Entscheidung gelten Befürchtungen, die Taurus könnten von der Ukraine auch auf Ziele in Russland abgefeuert werden und Russland dann Vergeltung üben.
"Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass das jetzt gerade nicht unsere vorrangigste Priorität hat", hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius Anfang August beim Besuch einer Gebirgsjägerbrigade in Bayern zu der ukrainischen Forderung gesagt und Bedenken geäußert. Die Bedenken gegen die Lieferung lägen auf der Hand.
Warum bittet Kiew um die Taurus-Marschflugkörper?
Die Ukraine fordert die Marschflugkörper, um auch Stellungen der russischen Streitkräfte weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Taurus aus Deutschland werden vor allen Dingen benötigt, damit die Ukraine einen stabilen Nachschub bei diesen Waffensystemen hat. Der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak sagte, es gebe "keine andere Möglichkeit, die russische Logistik und die Nachhut zu zerstören, also wird Taurus gebraucht". Ziel sei nicht, "das russische Territorium anzugreifen", sondern "Die Ressourcen der Besatzer zu zerstören".
Berlin ist dabei zurückhaltend, weil die Geschosse auch russisches Territorium erreichen können. Innerhalb der Ampel-Parteien gibt es aber unterschiedliche Ansichten zu den Marschflugkörpern. Es wird deswegen für möglich gehalten, dass sie vor einer Freigabe technisch so verändert werden sollen, dass sich Ziele in Russland mit ihnen nicht anfliegen lassen.
Die Flugkörper könnten in jedem Fall dabei helfen, im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die Logistikketten der russischen Armee zu unterbrechen und somit deren Munitionsversorgung zu stören, so der Militärexperte Nico Lange gegenüber ZDFheute. Mit dieser Methode war die Ukraine nördlich von Kiew und bei Cherson bereits mehrfach erfolgreich.
Wie funktionieren die Taurus-Marschflugkörper?
Die Marschflugkörper vom Typ Taurus KEPD-350 werden speziell für die Bekämpfung von wichtigen Zielen über große Entfernung verwendet. Der fünf Meter lange Marschflugkörper wird von Kampfflugzeugen aus gestartet und kann mit seinem Jetantrieb über 500 Kilometer weit fliegen. Er orientiert sich dabei anhand von Daten über die Geländebeschaffenheit und gleicht seinen Standort über Bild- und Infrarotsensoren sowie GPS-Navigationsdaten ab. Taurus kann dabei feindliches Radar mit hoher Geschwindigkeit in weniger als 50 Meter Höhe unterfliegen.
Beim Aufschlag auf das Ziel sprengt eine erste Ladung eine Lücke in Wand oder Decke der Ziele. Durch diese dringt dann ein 400 Kilogramm schwerer und mit Sprengstoff gefüllter Metallstab ein und explodiert. Damit sind sie sehr gut geeignet, um feindliche Bunkeranlagen oder Führungsgefechtsstände anzugreifen.
Wie viele Taurus-Marschflugkörper besitzt Deutschland?
Die Bundeswehr hat ab 2004 insgesamt 600 Marschflugkörper vom Typ Taurus KEPD-350 erhalten. Es kann mit den Kampfflugzeugen "Tornado" und "Eurofighter" zum Einsatz gebracht werden.
Die US-Regierung wird der Ukraine umstrittene Streumunition liefern. International sind die Waffen geächtet – nun sollen sie zur Verteidigung gegen Russland eingesetzt werden.
Hergestellt wurde der Lenkflugkörper durch die Taurus Systems GmbH. Sie ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Deutschland-Tochter des europäischen Rüstungskonzerns MBDA und Saab Dynamics aus Schweden. Der "Taurus" ist das deutsch-schwedische Gegenstück zu den parallel entwickelten britisch-französischen Marschflugkörpern "Storm Shadow" und "Scalp".
Nach Angaben des FDP-Verteidigungspolitikers Faber sind inzwischen nur noch 150 der ursprünglich 600 Taurus-Marschflugkörper der Luftwaffe einsatzbereit. Er geht aber davon aus, dass die anderen 450 durch den Hersteller für den Export in die Ukraine wieder funktionsfähig gemacht werden könnten.
Deutschland hat der Ukraine weitere Waffen und militärisches Gerät geliefert. Eine entsprechende Auflistung hat die Bundesregierung veröffentlicht.
Liefern andere Länder vergleichbare Waffen?
Anders als Berlin haben Großbritannien und Frankreich Kiew bereits Zusagen für vergleichbare Marschflugkörper gegeben. Großbritannien hatte bereits Mitte Mai als erstes Land angekündigt, die Ukraine mit Marschflugkörpern dieses Typs "Storm Shadow" zu beliefern. Frankreich zog kurz darauf nach und erklärte, der Ukraine eine ungenannte Zahl von Scalp-Marschflugkörpern geliefert zu haben.
Sowohl London als auch Paris machen allerdings deutlich, dass die Ukraine diese Waffen lediglich zur Verteidigung des eigenen Gebiets einsetzen solle.
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Nach russischen Angaben war bereits ein Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow im Einsatz gewesen, als im Juni die zur Krim-Halbinsel führende Tschongar-Brücke beschädigt wurde. Die Marschflugkörper waren ursprünglich dafür gebaut, um von westlichen Kampfjets vom Typ Rafale oder Typhoon abgefeuert zu werden. Die Ukraine feuert Storm Shadow und Scalp-EG von Su-24 Kampfflugzeugen aus ab. Für die Taurus-Marschflugkörper könnte ebenfalls eine technische Lösung gefunden werden.
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