Ukraine: "Einer muss es tun" - Knochenjob für Totengräber

    Getötete Soldaten in der Ukraine:"Einer muss es tun": Knochenjob Totengräber

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    Wie viele ukrainische Soldaten bisher gefallen sind, ist unklar. Aber die Zahl ist hoch, täglich finden vielerorts mehrerere Begräbnisse statt - für Totengräber ein Knochenjob.

    Friedhof in Krywyj Rih, Ukraine
    Auf dem Friedhof in Krywyj Rih finden oft mehrere Beerdigungen am Tag statt.
    Quelle: dpa

    Der Tag beginnt für Oleh Izenko und Andrij Kusnezow kurz nach dem Morgengrauen. Da melden sich die Totengräber auf dem Hauptfriedhof der Ortschaft Krywyj Rih, etwa 400 Kilometer von Kiew entfernt, zu ihrer anstrengenden Arbeit. Erst bei Sonnenuntergang sind sie damit fertig, für heute. Morgen geht es von Neuem los.

    Gräber täglich am Morgen ausgehoben

    Es sind lange Tage für die beiden Ukrainer, und jeder spiegelt die wachsende Zahl der Kriegstoten wider, die ihr Land zu beklagen hat. Die Gräber werden stets am Morgen ausgehoben, an diesem Tag sind es vier, jedes zwei Meter lang in jenem Abschnitt des Friedhofes, der den gefallenen Soldaten gewidmet ist.
    Izenko (29) und Kusnezow (23) setzen zunächst einen Traktor mit einem Erdbohrer ein, dann greifen sie zu Schaufeln, höhlen die Erde präzise so aus, dass perfekte Rechtecke entstehen - für die vier Soldaten, die in den schweren Kämpfen gegen die russischen Angreifer an der ukrainischen Ostfront getötet worden sind und an diesem Tag hier zur letzten Ruhe gebettet werden sollen.
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    Allein in Charkiw liegen Hunderte ukrainische Soldaten:
    "Es ist hart", sagt Oleh Izenko, ein früherer Metallarbeiter in dieser Region, die für ihren Eisenerzabbau bekannt ist. "Aber einer muss es tun." Die Regierung in Kiew und das Militär machen keine konkreten Angaben darüber, wie viele ukrainische Soldaten bislang in diesem Krieg ihr Leben verloren haben. Westliche Stellen schätzen, dass mindestens 100.000 Soldaten getötet oder verletzt worden sind, seit Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar vergangenen Jahres begann.

    Viele im Kampf um Bachmut gefallen

    Viele starben und sterben im Kampf um Bachmut, der bislang längsten Schlacht in diesem Krieg und einer der tödlichsten. Ukrainische Kräfte in der Stadt sind an drei Seiten von vorrückenden russischen Soldaten umgeben - und entschlossen, die Stadt um jeden Preis zu halten. Und dieser Preis ist hoch.
    In Bachmut verzeichnen beide Seiten schwere Verluste:
    Insgesamt werden in der Ukraine fast jeden Tag getötete Soldaten beigesetzt, manchmal auch mehrere am Tag auf einem einzelnen Friedhof. Und ist die Totenzahl auch insgesamt unklar, so kann sie auf andere Weise gemessen werden - so an Hand der langen Arbeitsstunden für die beiden jungen Totengräber in Krywyj Rih, dem monotonen Rhythmus ihrer Schaufeln und der täglichen Prozessionen von weinenden Hinterbliebenen.
    Ukrainer nehmen Abschied von den gefallenen Soldaten:

    Trauerszenen am Grab allzu vertraut

    Um 11 Uhr morgens, wenn der erste Sarg eintrifft, lehnen sich Izenko und Kusnezow erschöpft in der späten Morgensonne zurück. Mit ihren Schaufeln an der Seite verfolgen sie diskret die Szenen, die ihnen längst nur allzu vertraut sind. Die Familienangehörigen des 51-jährigen Andrij Worobjow, der bei einem Luftangriff auf Bachmut getötet wurde und seine Frau und drei Kinder zurücklässt, betreten unter Tränen das Gelände, dann treffen Busse mit weiteren Trauernden ein.
    Zwischen Weinen und Klagen warten Izenko und Kusnezow im Hintergrund, bis die letzte Handvoll von Erde auf den abgesenkten Sarg geworfen worden ist. Dann können sie ihre Arbeit fortsetzen, das Grab zuschaufeln.
    So begräbt die Ukraine ihre toten Soldaten - ein Besuch in Dupno:
    Der Ukrainer Kusnezov hätte niemals gedacht, dass er eines Tages Tote begraben würde. Er hat einen Universitätsabschluss in Technologie, einen guten Abschluss, wie ihm die Lehrer sagten. "Warum tue ich das also?", fragt er keuchend, während er Erde ins Grab schaufelt. Es gab keine Jobs, und er brauchte das Geld, gibt er sich dann selbst die Antwort.

    Oleh Izenko war arbeitslos und hatte keine andere Wahl

    Izenko wiederum hat seine Arbeit verloren, als der Krieg ausbrach, und hörte, dass der örtliche Friedhof Totengräber brauchte. Da er keine andere Wahl hatte, griff er zur Schaufel.
    transport von Leiche
    20.07.2022 | 7:37 min
    Eine ukrainische Sondereinheit birgt auch die Leichen gefallener russischer Soldaten:
    Es ist 13.30 Uhr. Die beiden jungen Männer sind noch dabei, das erste Grab mit Erde zu füllen, da beginnt die nächste Beisetzung.
    Die Familie des 31-jährigen Andrij Romanenko, der ebenfalls bei der Verteidigung von Bachmut ums Leben kam, errichtet ein Zelt, um den Sarg vor der frühen Nachmittagssonne zu schützen. Als die Trauernden Erde auf Romanenkos Sarg im Grab werfen, sind Izenko und Kusnezow immer noch dabei, das erste zuzuschaufeln. "Wir müssen uns sputen", sagt Izenko und wischt sich den Schweiß von den Augenbrauen. In der nächsten Stunde stehen noch zwei andere Beerdigungen an, und morgen werden es drei weitere sein.
    Keiner der beiden Männer kann es sich leisten aufzuhören. Und: "Was wir tun, dient dem Allgemeinwohl", sagt Izenko.

    Unsere Helden verdienen einen angemessenen Ruheplatz.

    Oleh Izenko, ukrainischer Totengräber

    Worobjows Grab ist schließlich zugeschüttet, und Kusnezow steckt das Kreuz in die Erde, der letzte Schritt, bevor die Blumen ausgelegt werden. Dann ist die erste Aufgabe erledigt - drei andere warten.
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