Wagner-Söldner berichten von Kriegsverbrechen

    Schockierende Geständnisse:Wagner-Söldner berichten von Kriegsverbrechen

    von J. Schneider, O. Prokhorov
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    Zwei Ex-Wagner-Kämpfer haben in Interviews grausame Kriegsverbrechen an den Menschen in der Ukraine gestanden. Befehle dazu sollen auch von Wagner-Chef Prigoschin gekommen sein.

    Söldner der russischen Wagner-Gruppe
    Söldner der russischen Wagner-Gruppe in Soledar in der Ukraine. (Archivbild)
    Quelle: Imago

    Es sind ungeheuerliche Taten, über die zwei frühere russische Wagner-Söldner berichten: Die Ex-Häftlinge Azamat Uldarov und Aleksey Savichev wurden aus dem Gefängnis für die private Armee von Jewgeni Prigoschin in den Kampf geschickt.
    Sie sprechen von der Tötung von Kriegsgefangenen, Hinrichtungen von Minderjährigen und dem Auftrag, ganze Ortschaften zu "säubern". Mittlerweile sind beide Männer aus dem Krieg in der Ukraine zurückgekehrt nach Russland und wurden von Präsident Putin begnadigt.

    Was haben die Ex-Söldner erzählt?

    Geführt und veröffentlicht hat die Interviews der Menschenrechtsaktivist und Gründer des Projekts Gulagu.net (bedeutet wörtlich "Nein zum Gulag"), Vladimir Osechkin. Nach eigener Aussage hat Osechkin mehrere Tage lang mit den beiden Männern in Video- und Telefongesprächen gesprochen.
    Savichev gab an, dass etwa 70 ehemalige Gefangene, die sich weigerten, Befehlen zu gehorchen, in seiner Gegenwart erschossen wurden. Er berichtete außerdem, dass er im Januar 2023 auf Befehl höherer Kommandeure Granaten in eine Grube geworfen habe, in der verwundete Ukrainer und Russen lagen. Die Überreste habe er mit Benzin übergossen und angezündet.
    Uldarov gesteht in den Interviews, er habe auf Befehl Kinder in Soledar und Bachmut getötet. Nach Angaben des Söldners erhielt er "den Befehl, alle aufzuräumen und zu vernichten". Darunter auch Frauen, Alte und Kinder. In Soledar soll er ein Mädchen erschossen haben, das erst "fünf oder sechs Jahre alt" war, sagte Uldarov.
    Beide Männer gaben an, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin persönlich Befehle für Hinrichtungen und Morde erteilt habe und auch terroristische Methoden und Grausamkeiten gebilligt habe.

    Sind die Aussagen der Ex-Söldner authentisch?

    Es gibt bislang keine unabhängigen Beweise dafür, dass die von ihnen beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben. Einige der Schilderungen lassen sich jedoch nachverfolgen: So soll die Grube mit den gesprengten Verwundeten zwischen einer Kaserne und der Konservenfabrik in Bachmut gewesen sein, diese liegen nur einige hundert Meter voneinander entfernt.
    András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtge Politik bewertet die Aussagen als authentisch:

    Die Schilderungen sind ziemlich im Einklang mit dem, was wir über die Wagner-Gruppe wissen. Schreckliche Kriegsverbrechen, aber nichts wirklich Neues.

    András Rácz, DGAP

    Viele der beschriebenen Vorfälle decken sich auch mit Berichten des Wagner-Deserteurs Andrey Medvedev, der im Februar aus der Ukraine nach Norwegen geflohen ist. Weitere ähnliche Kriegsverbrechen der Wagner-Gruppe sind auch aus Syrien bekannt.
    Wagner-Deserteur Andrei Medvedev
    Wagner-Deserteur Andrei Medvedev (links) trifft sich mit dem russischen Menschenrechtsaktivisten Vladimir Osechkin am Flughafen Gardermoen in Oslo.
    Quelle: Reuters

    Was ist über die Ex-Wagner Söldner bekannt?

    Sowohl Uldarov als auch Savichev sollen die Ränge eines Kommandeurs bei Wagner innegehabt haben. Dem ZDF liegen die Entlassungspapiere der beiden Männer vor, mit denen sie aus dem Gefängnis freigekommen sind.
    Von einem der Männer, Azamat Uldarov, liegt dem ZDF zudem ein Video vor, das Übergriffe durch Gefängnisbeamte während der Haft zeigt. Das Video ähnelt vielen zuvor veröffentlichten Videos dieser Art und wirkt sehr authentisch. Sexuelle Demütigung ist in russischen Gefängnissen eine gängige Praxis: Die Videos verwenden Strafverfolgungsbehörden, um Gefangene zu erpressen. Wenn andere erfahren, was in der Haft passiert ist, werden die Ex-Häftlinge in der Gesellschaft zu "Unantastbaren" herabgestuft.
    Söldner mit Maske und Sonnenbrille
    Sie gelten als geheime Krieger des Kremls: Die Söldner des privaten Militärunternehmens “Gruppe Wagner”.16.08.2022 | 9:48 min

    Warum äußern sich die Männer öffentlich?

    Es ist seltsam, dass sich die Ex-Söldner so offen über Kriegsverbrechen der Wagner-Truppe in der Ukraine äußern, während sie sich in Russland aufhalten. Sie haben sich damit in große Gefahr gebracht und nach der Veröffentlichung auch diverse Morddrohungen erhalten. Andere Ex-Söldner wurden nach Gesprächen mit Pressevertretern von den Wagner-Kämpfern getötet.
    Prigoschin behauptete nach der Veröffentlichung der Interviews, Uldarov und Savichev stünden unter der Kontrolle westlicher Geheimdienste und mit den Schilderungen von Kriegsverbrechen sollten Terroranschläge innerhalb Russlands gerechtfertigt werden.
    Osechkin widerspricht dieser Darstellung vehement:

    Azamat und Aleksey sind in Russland, sie stehen zu 100 Prozent unter keinem Einfluss von SBU, CIA und so weiter.

    Vladimir Osechkin, Gründer des Projekts Gulagu.net

    Der SBU ist der Inlandsgeheimdienst der Ukraine. Osechkin vermutet, dass die beiden Ex-Söldner ihm Interviews gegeben haben, weil sie mit den begangenen Verbrechen nicht leben können. Beide Männer hätten viele Jahre in Gefängnissen verbracht und ihnen sei nicht nur die Freilassung versprochen worden, sondern auch, dass sie nach dem Kriegsdienst in ein freies und friedliches Leben als Helden zurückkehren würden. Sie würden Respekt und Geld haben. Nun fühlten sie sich betrogen, da sie nicht als Helden zurückkehrten, sondern noch mehr als Verbrecher, als sie schon waren.

    Die Söldnergruppe "Wagner" wird von Jewgeni Prigoschin angeführt. Neben der Ukraine soll es auch in Syrien, in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, in Somalia und in Mali "Wagner"-Einsätze geben. Wagner-Leute werden der Tötung, Vergewaltigung und Folter von Menschen verdächtigt - auch in den Vororten von Kiew im Ukraine-Krieg. In Afrika bringen Experten Prigoschin mit Gold- und Diamantenminen in Verbindung.

    Psychischer Zusammenbruch oder militärische Abschreckungstaktik?

    András Rácz sieht drei Möglichkeiten, warum die Männer so offen sprechen in den Interviews:
    1. Die Ex-Söldner haben einen psychischen Zusammenbruch oder eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Sie kümmern sich nicht mehr um ihr eigenes Leben und wollen einfach nur über das Erlebte sprechen.
    2. Es könnte sich aber auch um eine gezielte russische Kampagne gegen die ukrainischen Streitkräfte vor der erwarteten Gegenoffensive handeln: Die dramatischen Schilderungen von Gewalt sollen die Angst vor einer Gefangenschaft erhöhen.
    3. Es gibt zudem Vermutungen, dass die Interviews durch einen internen Machtkampf in Russland unterstützt wurden, um die Wagner-Gruppe und damit auch Prigoschin zu diskreditieren, seinen Machtanspruch in Moskau zu behindern und ihn als Konkurrenten von Putin loszuwerden.
    Welche dieser Optionen am ehesten zutrifft oder ob es eine Kombination mehrerer Faktoren ist, kann Rácz nicht abschließend sagen.
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