EU-Sanktionen: Wie Putin der russischen Wirtschaft schadet

    Interview

    Neue Sanktionen gegen Russland:Wie Putin der russischen Wirtschaft schadet

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    Die EU arbeitet an ihrem 11. Sanktionspaket. Aber wirken die Sanktionen in Russland überhaupt? Ja, sagt Ökonom Wladimir Milow. Sie treffen die Mächtigen, aber auch einfache Bürger.

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    Die Wirtschaftssanktionen der EU haben in Russland auch zu Geschäftsschließungen geführt.
    Quelle: epa

    ZDFheute: Herr Milow, die EU bereitet gerade ihr 11. Sanktionspaket vor. Oft wird gesagt, die Sanktionen wirken nicht so, wie sie sollten. Welche Sanktionen treffen die russische Wirtschaft am meisten?
    Wladimir Milow: Sie wirken sehr ernsthaft. Viele hatten einen unverzüglichen Zusammenbruch und Kollaps erwartet. Aber der Einfluss der Sanktionen erfolgt schrittweise.

    Dieses Jahr haben die Sanktionen erstmals begonnen, sehr ernsthaft zu greifen, denn wir sehen ein kolossales Haushaltsdefizit.

    Wladimir Milow, Ökonom

    Das operative Defizit beläuft sich auf etwa fünf Billionen Rubel. Im ersten Quartal sind die Einnahmen durch Erdöl und Erdgas - und das sind die Hauptfolgen der Sanktionen - um 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Das bedeutet, dass sich die Finanzressourcen des Staates recht schnell erschöpfen werden.

    Wladimir Milow
    Quelle: Imago

    ... ist ein russischer Ökonom und Oppositioneller. Er ist Experte in Wirtschafts- und Energiefragen. 2002 war er stellvertretender Energieminister Russlands, wandelte sich aber später zum Putin-Gegner. An der Seite des später ermordeten Boris Nemzow engagierte er sich gegen Korruption vor allem rund um den russischen Gasriesen Gazprom. Seit einigen Jahren ist er Teil des Teams um Alexej Nawalny. Wladimir Milow lebt seit zwei Jahren im Exil.

    Und außer dem Staat gibt es in Russland niemanden mehr, der die Wirtschaft finanzieren könnte. Private Initiativen und private Investitionen sind tot. Im vergangenen Jahr erreichte der Kapitalabfluss eine Rekordhöhe von 217 Milliarden Dollar. So etwas hat es in der Geschichte Russlands nicht gegeben.
    ZDFheute: Welche Gegenmaßnahmen unternimmt die russische Regierung?
    Milow: Das, was Putin heute recht gut gelingt, ist das Umgehen der Sanktionen über Drittländer, die Türkei, die Emirate, China, Hongkong. Wir sehen, dass man den Import bis zu den Vorkriegswerten fast wiederherstellen konnte, obwohl der Westen aktiv daran arbeitet, um diese Kanäle abzuriegeln.
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    Gleichzeitig versucht Russland, westliche Investitionen durch asiatische zu ersetzen. Doch das wirkt nur sehr begrenzt. Asien ist im Unterschied zum Westen nicht bereit, in Russland zu investieren.
    In den letzten 30, 40 Jahren war der Westen ein sehr großer Geber für Technologien, Kapital und Know-how. Asien ist nicht bereit, dies zu tun. Es braucht nur unsere billigen Rohstoffe mit einem Preisnachlass. Den Westen haben wir verloren. Und dies wird sich natürlich sehr ernsthaft auswirken.
    ZDFheute: Funktionieren Parallel-Importe als Ersatz?
    Milow: Das parallele Importieren ist ein bisschen wie Pumpen auf der "Titanic". Man kann damit verlorene technologische Waren vorübergehend ersetzen. Aber diese Produkte werden wegen der Logistik immer teurer.

    Hinzukommt, dass es in den Ländern, mit denen Russland arbeitet, überhaupt keinerlei großen Reserven an Waren gibt, die über den parallelen Import eingeführt werden könnten.

    Wladimir Milow, Ökonom

    Da gibt es zum Beispiel einfach keine großen Lager mit iPhones. Alle Waren kommen von den Herstellern über Einzelhändler. Dieses Schema hat eine eingeschränkte Wirkung.
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    ZDFheute: Der Iran wird schon seit Jahrzehnten sanktioniert, trotzdem ist das Regime immer noch an der Macht. Denken Sie, die Sanktionen werden die Wirkung entfalten, die der Westen sich wünscht?
    Milow: Wissen Sie, es ist ein sehr weit verbreiteter Standpunkt zu sagen, dass die Sanktionen gegen den Iran in 40 Jahren zu nichts geführt hätten. Das ist nicht richtig und zutiefst fehlerhaft. Denn im Iran nehmen die Proteste zu. Wir sehen Proteste dieses Ausmaßes fast nirgends auf der Welt.
    Daher finde ich es merkwürdig zu sagen, dass die Sanktionen zu nichts geführt hätten. Sie haben dazu geführt, dass das ganze Land aufgebracht ist, was jetzt mit Härte und Brutalität unterdrückt wird.
    Ich bin mir absolut sicher, dass das Regime weiterhin schwanken wird. Das Regime wirkt auf mich nicht stabil. Deswegen kann man nicht sagen, dass die Sanktionen nicht wirken.
    ZDFheute: Was muss passieren, damit die russische Wirtschaft eine erfolgreiche Zukunft hat?
    Milow: Man muss sich von Putin trennen. Man muss sich von der Diktatur befreien und man muss sich mit der zivilisierten Welt aussöhnen und für die Aggression gegen die Ukraine haften.

    Wir brauchen eine völlig andere Politik, ein völlig anderes Wirtschaftsmodell, das für die Menschen und nicht für die herrschenden Oligarchen gemacht ist.

    Wladimir Milow, Ökonom

    Man muss alles vollkommen verändern, was Putin im letzten Vierteljahrhundert errichtet hat. Wir müssen ein völlig anderes Land schaffen, ein offenes, das sich um die Rechte und Interessen der Bürger kümmert und nicht um die Interessen eines kleinen Herrscherkreises.
    Das Interview führte Sebastian Ehm, Korrespondent im ZDF-Studio Moskau.
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