Verliert die Ukraine den Krieg, Herr Mölling?

    Interview

    "Es sieht zurzeit nicht gut aus":Verliert die Ukraine den Krieg, Herr Mölling?

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    "Es sieht zurzeit nicht gut aus" für die Ukraine, sagt Militärexperte Mölling. Und selbst wenn Kiew zu Gesprächen gedrängt würde, werde Russland Europa weiter bedrohen.

    Christian Sievers im Schaltgespräch mit Christian Mölling
    Sehen Sie hier das Interview mit dem Militärexperten Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.26.11.2023 | 5:41 min
    ZDF: Ist die Ukraine dabei, den Krieg zu verlieren?
    Christian Mölling: Gewinnen und verlieren hängt stark davon ab, was der Westen liefert oder auch nicht liefert. Das ist auch unsere Verantwortung. Ja, es sieht zurzeit nicht gut aus. Russland spielt auf Zeit und die Ukraine bekommt nicht das, was ihr zugesagt wurde. Von daher ist es zurzeit so, dass man sich schon fragen muss, wie sehen wir auf das nächste halbe Jahr? Denn ganz klar ist: Nach diesem Winter möchte die Ukraine Geld, um die Offensive zu starten. Rüstet der Westen die Ukraine in diese Richtung aus?
    ZDF: Der Oberbefehlshaber der US-Armee spricht von Pattsituation und "zermürbendem Grabenkrieg, der sich über Jahre hinziehen könnte". Hat der Westen dafür die Geduld?
    Mölling: Möglicherweise hat er das nicht.

    Unsere Sicherheit ist mit der der Ukraine verbunden.

    Wir schauen aber nicht nur auf die Ukraine, wir blicken - wie das Kaninchen auf die Schlange - auf das, was in Washington passiert. Wir sehen eigentlich alle die wesentlichen Ereignisse, die dazu führen, dass nicht nur die Situation der Ukraine, sondern auch unsere eigene schlechter wird. Aber die Konsequenz im Handeln, die fehlt zurzeit.

    Christian Mölling
    Quelle: DGAP

    ... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

    ZDF: Sie haben gerade Washington angesprochen, also die Frage, wieviel Hilfe aus Washington, aus den USA weiterhin Richtung Ukraine kommt. Und dann auch die Frage, ob möglicherweise Donald Trump zurückkehrt ins Weiße Haus. Warum scheint das Europa im Moment so wenig zu kümmern, dass wir uns nicht schon konkret darauf vorbereiten würden.  
    Mölling: Wir nutzen die Phase davor nicht. Man könnte US-Präsident Joe Biden jetzt ja quasi unterstützen, auch dadurch, dass man eben die Ukraine nicht zu einem solchen Wahlkampfthema macht. Nicht, dass es dazu kommt, dass es so ein Wahlkampfthema wird, indem die Europäer mehr Verantwortung und damit einfach mehr Last übernehmen für diesen Konflikt und die Ukraine unterstützen.
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    Aber da zögern wir tatsächlich, zumindest ein Teil der Europäer. Ein wichtiger Teil der Europäer ist sich zurzeit nicht im Klaren, was er eigentlich machen will, um die Ukraine weiter zu unterstützen, wenn die Amerikaner wegbrechen.
    ZDF: Der Bundeskanzler hat schon vor längerer Zeit gesagt: "Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln." Das sieht man aber offenbar ja nicht mehr überall so. Wird so am Ende Kiew an den Verhandlungstisch gedrängt? 
    Mölling: Selbst wenn Kiew an den Verhandlungstisch gedrängt wird, ist das eben nicht das Ende. Diese Idee, glaube ich, macht sich zurzeit so hier und da in einer Ecke in in Berlin breit, dass man eigentlich hofft, man müsste noch ein paar Monate aushalten, dann wäre es vorbei. Und dann wäre es so wie früher. Aber ich glaube, das ist der Trugschluss.

    Es wird nicht mehr so wie früher werden.

    Die Ukraine wird auch nicht bereit sein, eine Million ihrer Menschen und Zehntausende von Kindern in russischer Gewalt zurückzulassen.
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    Und die Frage ist, ob das, was Europa versprochen hat - entweder, dass Russland nicht gewinnen darf oder aber, dass sogar die Ukraine gewinnt - ob eben all diese Versprechungen und auch die Sicherheitsgarantien, die angesprochen worden sind, ob die irgendwas wert sind. Wir entscheiden hier, glaube ich, gerade in erheblichem Maße darüber, wie vertrauenswürdig wir eigentlich als Europa noch sind.
    ZDF: Aber wenn es, wie Sie sagen, nicht mehr so wird wie früher. Und wenn es auch so, wie es aktuell läuft, ja letztlich nicht lange weitergehen kann - was bleibt denn dann noch?  
    Mölling: Wir haben noch Handlungskapazität. Also, wenn wir davon ausgehen, dass alles das, was heute passiert oder auch nicht passiert, den Krieg in sechs Monaten beeinflusst, dann gibt es quasi eine neue Liste von all den Dingen, die die Ukraine braucht, um im nächsten Jahr eben nicht in einen Stellungskrieg zu rutschen, oder, wenn sie dort jetzt schon ist, diesen weiterzuführen. Sondern, um tatsächlich die Fähigkeit zu haben, daraus auszubrechen und weitere Erfolge zu machen. Die Frage ist, ob die Europäer sagen: "Ja okay, wir sind bereit, darein zu investieren. Wir gehen auch ins Risiko." Bislang sieht es nicht so aus, als ob wir bereit sind, das Risiko einzugehen.  
    ZDF: Ich würde gern noch zum Schluss ganz kurz auf das ganz große Bild gucken. Ich habe heute einen Satz eines Historikers gelesen, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht: "Kriege wie dieser", sagte er (und er meint damit den Ukraine-Krieg) "haben Konsequenzen, die Jahrzehnte andauern. Wer diesen Krieg verliert oder gewinnt, das wird uns alle auf zehn, 20 und vielleicht noch viel mehr Jahre prägen". Ist das allen bewusst?
    Mölling: Ich habe den Eindruck, dass es nicht allen bewusst ist. Vor allen Dingen nicht denjenigen, die die Entscheidungen treffen. Viel wichtiger ist aber, dass man das nicht in Jahrzehnten messen darf, sondern, dass man relativ klar sagen muss, dass uns die Konsequenzen, wenn wir der Ukraine nicht helfen und damit unsere eigene Sicherheit weiterhin gefährden, dass uns diese Konsequenzen wahrscheinlich schon in fünf oder sechs Jahren ins Haus stehen werden.
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    Weil Russland sich auf der einen Seite ermutigt fühlt, dass man Erfolg haben kann mit Krieg, um seine Interessen durchzusetzen. Und weil es gleichzeitig quasi die Ernte einfahren wird aus seiner angelaufenen Kriegswirtschaft - und damit in der Lage sein wird, Europa weiterhin zu bedrohen. Und dann geht es nicht um die Frage, ob es um einen Nuklearschlag oder eine nukleare Eskalation gegen Kiew geht, sondern um eine nukleare Eskalation, die möglicherweise dann Berlin ins Zentrum rückt.  
    Das Interview führte der Moderator des ZDF heute journals, Christian Sievers.
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