Ukraine-Hilfe: Kriegseintritt durch Taurus-Lieferungen?

    Völkerrechtler zu Scholz-Aussage:Kriegseintritt durch Taurus-Lieferungen?

    Samuel Kirsch
    von Samuel Kirsch
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    Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, könnte Deutschland zur Kriegspartei machen, fürchtet Bundeskanzler Scholz. Was sagt das Völkerrecht zu dieser Aussage?

    ARCHIV - 28.03.2017, Südafrika, Bredasdorp: HANDOUT - Die von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus, der im Rahmen der Übung «Two Oceans» fliegt.
    Der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine erteilte Kanzler Scholz zuletzt eine eindeutige Absage.28.02.2024 | 2:03 min
    Der russische Präsident Wladimir Putin hat in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass er das Völkerrecht außer Acht lässt und bricht - es sei denn, eine Interpretationsweise nützt ihm, um eigene Handlungen im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befürchtet genau das: dass Putin die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern als Kriegseintritt Deutschlands werten und der Krieg zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland eskalieren könnte. Doch was besagt das Völkerrecht?

    Wann wird ein Land zu einer Kriegspartei?

    Die rechtlichen Kriterien dafür, wann Staaten zur "Konfliktpartei" - so die völkerrechtlichen Verträge - werden, sind nicht genau geregelt. Sie ergeben sich insbesondere aus der Staatenpraxis, die sich in vergangenen Konflikten gebildet hat.
    Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, erklärt der Völkerrechtsexperte Alexander Wentker vom Max-Planck-Institut für ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg:

    Es braucht erstens einen direkten Bezug zu Kampfhandlungen, die dem Gegner militärischen Schaden zufügen. Und die Unterstützung muss zweitens eng koordiniert werden mit den Militäroperationen des unterstützten Staates.

    Alexander Wentker, Völkerrechtler

    Durch das Liefern von Waffen an die Ukraine alleine greife Deutschland nicht unmittelbar ein. Entscheidend sei vielmehr, wie weitgehend Deutschland sich darüber hinaus am Einsatz der Waffen beteiligt.
    Auf der Infografik wird der Marschflugkörper Taurus gezeigt. Die Waffe findet und zerstört ihr Ziel selbstständig. Dafür wird der Flugweg mehrere Tage vorgeplant und in der Waffe abgespeichert.

    Was bedeutet das für Taurus-Lieferungen an die Ukraine?

    Der bloße Umstand, dass Marschflugkörper vom Typ Taurus wegen ihrer großen Reichweite von 500 Kilometern Ziele in Russland treffen könnten, führt nicht dazu, dass Deutschland zur Konfliktpartei wird, wenn es solche Waffensysteme liefert.
    Der Knackpunkt liegt in der Frage: Kann die Ukraine die Taurus-Systeme eigenständig einsetzen oder funktionieren diese technisch so, dass deutsche Militärs die Programmierung übernehmen und konkrete Daten zur Ansteuerung von Zielen beisteuern müssten?

    Wenn westliche Staaten der Ukraine konkrete Zielkoordinaten innerhalb einer Militäroperation gegen militärische Ziele eingeben, kommen wir in einen Bereich, bei dem man von einer Kriegsbeteiligung sprechen kann.

    Alexander Wentker, Völkerrechtler

    Ob aber deutsche Soldaten tatsächlich die Ziele der Taurus-Raketen einprogrammieren müssten, ist umstritten. Verschiedene Experten gehen stattdessen davon aus, dass eine Grundausstattung mit allgemeinen Geo-Daten ausreicht und die genaue Zieleingabe durch die ukrainischen Militärs erfolgen könnte.
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    Bundeskanzler Olaf Scholz ist davon offenbar nicht überzeugt. Er verwies am Montag bei einer Veranstaltung auf Großbritannien und Frankreich, die ähnliche Waffensysteme an die Ukraine liefern. Scholz deutete an, die beiden Länder beteiligten sich auch an der Zielsteuerung. Großbritannien widersprach Scholz auf Anfrage des "Spiegel". Ein Sprecher des britischen Verteidigungsministeriums gab an, der Einsatz und der Prozess der Zielauswahl sei Sache der ukrainischen Streitkräfte.
    Die Infokarte zeigt die potenzielle Reichweite der deutschen Waffensysteme, die im Ukraine-Krieg eingesetzt werden. Die bereits gelieferte Panzerhaubitze 2000 hat eine Reichweite von maximal 40 Kilometern, die zugesagte Radhaubitze RCH 155 kann Ziele in bis zu 54 Kilometern Entfernung anvisieren, der Raketenwerfer Mars II hat eine Reichweite von maximal 84 Kilometern. Die von der Ukraine geforderten Marschflugkörper vom Typ Taurus können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung erreichen.
    Die Infokarte zeigt die potenzielle Reichweite deutscher Waffensysteme.

    Was gilt für den Einsatz von Bodentruppen?

    Der Einsatz von Bodentruppen aus Nato-Ländern in der Ukraine, den der französische Präsident Emmanuel Macron nicht ausgeschlossen hatte, steht nach Aussage von Bundeskanzler Scholz nicht zur Debatte.
    Deutschland würde aber auch durch das Entsenden von Soldaten in die Ukraine nicht automatisch zur Konfliktpartei, sondern nur, wenn deutsche Soldaten sich in Abstimmung mit dem ukrainischen Militär an Kampfhandlungen beteiligen würden. Ausbildungseinsätze, um ukrainische Soldaten allgemein für den Einsatz von Waffen zu schulen, dürften nicht ausreichen - unabhängig, ob auf deutschem oder ukrainischem Staatsgebiet.
    Überschritten wäre die Schwelle zur Kriegsbeteiligung aber, wenn deutsche Militärs durch ihre Anleitung in konkreten Einsätzen daran mitwirken, russische Ziele zu treffen.
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    Dürfte Deutschland die Ukraine mit eigenen Truppen unterstützen?

    Unabhängig von der Frage, wann Deutschland Kriegspartei würde, ist klar: Die militärische Unterstützung der Ukraine ist völkerrechtlich zulässig. Und Deutschland dürfte sich auch als Kriegspartei beteiligen, was freilich politisch nicht gewollt ist.

    Deutsche Soldaten dürfen rechtlich gesehen die Ukraine verteidigen. Russland hätte nicht das Recht, Deutschland im Gegenzug anzugreifen. Es gibt kein Recht auf Selbstverteidigung gegen Selbstverteidigung.

    Alexander Wentker, Völkerrechtler

    Denn die Ukraine übt ihr in der UN-Charta verbrieftes Selbstverteidigungsrecht gegen den Aggressor Russland aus. Demnach dürfen andere Staaten wie Deutschland die Ukraine umfassend militärisch unterstützen.
    Samuel Kirsch ist Redakteur der ZDF-Fachredaktion Recht und Justiz.
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