Mesale Tolu zu Türkei-Wahl: "Es kann zu Wahlbetrug kommen"

    Journalistin über Türkei-Wahl:Mesale Tolu: "Es kann zu Wahlbetrug kommen"

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    Mesale Tolu wurde 2018 in der Türkei inhaftiert, 2022 schließlich freigesprochen. Im ZDF-Interview blickt die deutsche Journalistin sorgenvoll auf die kommende Türkei-Wahl.

    Meşale Tolu
    Journalistin Meşale Tolu war monatelang in türkischer Haft. Bei ZDFheute live spricht sie über die Hilflosigkeit, dem System Erdoğan ausgesetzt zu sein und über Wahlmanipulation.12.05.2023 | 7:49 min
    Die Türkei hatte ihr Terrorpropaganda vorgeworfen und sie monatelang eingesperrt. 2018 kam sie zurück nach Deutschland und wurde schließlich Anfang 2022 von einem türkischen Gericht freigesprochen.
    Die deutsche Journalistin Mesale Tolu spricht im Interview mit ZDFheute live über die kommende Wahl in der Türkei, die prekäre Situation von Journalisten im Land und die eingeschränkte Pressefreiheit Wahlbetrug begünstigen könnte.
    Lesen Sie das Interview hier in Auszügen oder sehen Sie es oben in voller Länge im Video.

    Tolu: Viele Journalisten seit Putschversuch inhaftiert

    Die Pressefreiheit in der Türkei sei keine Pressefreiheit, wie man sie kenne, erklärt Mesale Tolu im Gespräch:

    Denn in der Türkei wurden seit dem Putschversuch 2016 ganz viele Kanäle, ganz viele Nachrichtenagenturen geschlossen, Journalisten inhaftiert.

    Mesale Tolu, Journalistin

    "Tagtäglich erfahren sie Repression", so Tolu weiter. Diejenigen, die vor noch Ort seien, versuchten nun über soziale Medien ihre Arbeit fortzuführen. Aber auch die erlebten eine Zensur, erklärt die Journalistin. "Es kam schon vor, dass Twitter der Strom abgedreht wurde." Tolu geht davon aus, "dass in der Wahlnacht, vielleicht ein paar Tage davor", vermehrt Zensur stattfinden werde.

    Es kann schon sein, dass die Regierung so auf den letzten Drücker noch mal über Twitter, über Facebook oder andere soziale Medien versucht, hier großen Druck aufzubauen.

    Mesale Tolu, Journalistin

    Das soll Journalisten daran hindern, zu berichten, glaubt Tolu. Auch von kürzlichen Festnahmen berichtet die Journalistin. Vor allem in kurdischen Gebieten sollen bis zu 20 Journalisten inhaftiert worden sein. Dies zeige, wie die Regierung versuche, Kontrolle zu behalten.
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    Journaliston Tolu fürchtet Wahlbetrug in der Türkei

    Die Situation um die Pressefreit in der Türkei ist für Tolu aber nicht nur wegen mangelnden Informationsmöglichkeiten für die Menschen problematisch - laut der Journalistin ist es auch nicht unwahrscheinlich, "dass es zu Wahlbetrug kommen kann". Durch die eingeschränkten Möglichkeiten von Journalisten könne es zu verschiedenen Aktionen seitens der Regierung unter Erdogan kommen, um die Wahlen zu täuschen, so ihre Einschätzung.

    Die Befürchtung ist natürlich da, dass die Regierung versuchen wird, wieder Wahlbetrug anzuwenden.

    Mesale Tolu, Journalistin

    Daher sei es wichtig, dass Wahlbeobachter vor Ort seien - vor allem internationale Wahlbeobachter, "damit eben alles so transparent wie möglich ablaufen kann."
    Frank Schwabe
    Die Menschen hätten Bedenken, so Frank Schwabe, Leiter der Wahlbeobachtungskommission des Europarats. Neben der zentralen Wahlbehörde habe aber auch die Opposition ein Zählsystem.12.05.2023 | 3:52 min
    Frank Schwabe, Leiter der Wahlbeobachtungskommission des Europarats, über die Wahl:

    Tolu: Wahlmöglichkeit von Erdbeben-Betroffenen unklar

    Tolu habe 2018 selbst eine Wahl in der Türkei miterlebt. Sie berichtet, dass es im Vorfeld vorkomme, dass ganze Dörfer oder Gruppierungen bestochen würden, "mit Materialien wie Lebensmitteln, mit Waschmaschinen, mit Tiefkühltruhen".

    Es kam vor, dass syrische Flüchtlinge Pässe bekommen haben, sodass sie wählen konnten.

    Mesale Tolu, deutsche Journalistin

    Es sei auch vorgekommen, dass ganze Säcke mit vorgestempelten Wahlzetteln gefunden worden seien. Diese sollten laut Tolu andere Wahlzettel ersetzen.
    SGS Brase
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    ZDF-Korrespondent Jörg Brase über die Wahl in der Türkei:
    Die Journalistin spricht auch das jüngste Erdbeben an, bei dem zahlreiche Menschen in der Türkei ihr Zuhause verloren. Viele Menschen seien zu Familie oder Freunden gereist. Tolu befürchtet, dass die Betroffenen nicht werden wählen können.
    "Ob diese Menschen tatsächlich noch wählen können, ob ihre Stimme auch hier Gehör finden wird, oder ob das dann wieder ersetzt wird durch irgendwelche vorgefertigten Wahlzettel. Das ist meine größte Befürchtung."

    Tolu: "Machtwechsel allein reicht nicht aus"

    Tolu erinnert sich auch an ihre Zeit in Haft vor sechs Jahren: "Hilflos ausgeliefert sein, das war das Schlimmste in dieser Zeit." Eine Rückkehr in die Türkei schließt Tolu für sich daher vorerst aus:

    Ein Machtwechsel allein reicht nicht aus, um zu sagen, ich kann wieder sicher in die Türkei reisen.

    Mesale Tolu, deutsche Journalistin

    Die AKP habe in den vergangenen Jahren alle Ämter im Land mit Menschen besetzt, die in ihrem Sinn handeln. Nach einer eventuellen Regierungsübernahme von Erdogan-Herausforderer Kilicdaroglu gehe es darum, diese Ämter demokratischer und gesetzestreu zu besetzen. Das würde aber mehr als nur ein oder zwei Jahre dauern, so Tolu.

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