Demenz: Was Erkrankten und pflegenden Angehörigen hilft

    Interview

    Coaching für Angehörige:Demenz: Wie der Umgang leichter werden kann

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    Diagnose Demenz: Eine schwerer Einschnitt ins Leben - für Erkrankte, aber auch fürs Umfeld. Tipps für Angehörige zum Umgang mit der Krankheit, Hilfe und Vorbereitung.

    Demenz: Schlaf-Wach-Störung
    Menschen mit Demenz und ihre Familien seien oft isoliert, erzählt Désirée von Bohlen und Halbach.
    Quelle: Imago/Westend 61

    Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Demenz. Etwa zwei Drittel werden zu Hause gepflegt, oft rund um die Uhr - von Partnern, Kindern oder Enkeln.
    Unterstützung für die Angehörigen bietet der Verein "Desideria Care". Gründerin Désirée von Bohlen und Halbach erklärt, wo sich Angehörige Hilfe holen können, wie eine mögliche Diagnose vorbereitet werden kann und wie pflegende Menschen es schaffen können, dass sie den Blick wieder auf sich selbst richten und nicht "co-erkranken".
    ZDFheute: 75 Prozent der Pflegearbeit wird zu Hause geleistet, vor allem von Frauen. Wie sind Ihre Erfahrungen?‎
    Dèsirèe von Bohlen und Halbach: Es sind oft Töchter und Schwiegertöchter, die eine eigene Familie haben, einen Job und ‎dann noch pflegen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist schwieriger, als ich mir das vorgestellt habe. Die Krankheit ist wie ‎ein Krake, der überall seine Arme ausbreitet und keinen Bereich des Lebens auslässt.‎

    Désirée von Bohlen und Halbach
    Quelle: ZDF

    ... ist die Nichte des schwedischen Königs und verheiratet mit einem Ur-Enkel von Friedrich Alfred Krupp. Sie hat eine Ausbildung zum systemischen Coach, als familientherapeutische Beraterin und als Trainerin bei "Silviahemmet", der gemeinnützigen Organisation ihrer Tante, der schwedischen Königin Silvia. Von Bohlen und Halbach hat den Verein "Desideria Care" gegründet. Er hat die Aufgabe, Menschen zu unterstützten, deren Angehörige Demenz haben.

    ZDFheute: Sie haben 2017 den Verein "Desideria Care" gegründet, der Angehörige von Menschen mit Demenz unterstützt. Warum ist es für Angehörige schwer, Hilfe anzunehmen?‎
    Von Bohlen und Halbach: Es ist wirklich traurig, wir Menschen haben Probleme zu sagen: Ich ‎‎nehme Hilfe an!‎ Viele verwechseln das auch mit Bedürftigkeit. Und daran arbeiten wir im Coaching mit unserem Verein, dass das eben keine Schande ist.

    Niemand muss das allein schaffen.

    Désirée von Bohlen und Halbach, Gründerin von "Desideria Care"

    Wenn ‎man von Demenz spricht, hat man ganz klar erstmal den Erkrankten im Kopf und nicht den Angehörigen. Wir versuchen die Menschen in ‎Selbstfürsorge zu bringen, damit sie nicht co-erkranken, weil sie sich ‎aufopfern.
    ZDFheute: Welche Tipps können Sie Angehörigen geben?‎
    Von Bohlen und Halbach: Demenz ist leider eine ‎palliative Erkrankung. Unser Anliegen ist: Bitte schaut, dass ihr eine Diagnose bekommt. ‎

    Diagnose ist der erste Schritt, auch wenn sie wehtut.

    Désirée von Bohlen und Halbach

    Eine Erkrankung ist oft schon Jahre lang da, bevor ‎man sie erkennt.
    "37° Sein Leben mit dem Vergessen - 55, Diagnose Demenz und noch mitten im Leben": Bernhard mit Ehefrau Ute und den beiden Söhnen Rio und Tilo stehen dicht nebeneinander.
    Bernhard (55) gehört zu den 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, die an Demenz erkrankt sind. Familie und Freunde wollen ihm möglichst lange das gewohnte Umfeld bieten.16.05.2022 | 28:37 min
    ZDFheute: Wie kann man sich vorbereiten, um die Diagnose Demenz in der Familie zu verarbeiten?
    Von Bohlen und Halbach: Man muss vor allem Dokumente ‎bereithalten und Vorsorgevollmachten haben, zum Beispiel eine Patientenverfügung. Sonst kommt ein Betreuer und der regelt dann alles. Und das ist die Frage: Will ich das als Angehöriger?

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    :Wer gesetzlicher Betreuer sein kann

    Wie geht es mit dem Partner oder einem Angehörigen weiter, wenn er nicht mehr für sich selbst entscheiden kann? Wer als Betreuungsperson in Frage kommt und was alles zu regeln ist.
    von Saskia Schüring
    Eine Pflegekraft hält in einem Seniorenheim die Hand einer Bewohnerin, aufgenommen am 23.01.2014
    FAQ
    ZDFheute: Wie gehe ich mit meinem Angehörigen um, der Demenz hat?
    Von Bohlen und Halbach: Mir hat eine Klientin gesagt: "Ich bin so einsam, weil ich mit meinem Mann nicht mehr reden kann. Der ist zwar physisch da, aber es ist funktioniert keine Kommunikation mehr." Das ist eine Einsamkeit, die ist ganz schwer zu ertragen.
    Nonverbale Kommunikation: Blicke, Berührungen - wenn die Menschen das zulassen! Man muss immer wie so ein Detektiv unterwegs sein und überlegen: Was ist jetzt gerade gut für den anderen. Ich sage immer: Der eine verliert seine Kompetenzen und der andere muss sie aufbauen. Oft habe ich Partner bei mir im Coaching, die sind in einem Alter, wo es wahnsinnig anstrengend ist, Dinge neu zu lernen.
    Emotionen unterliegen nicht der Demenz, genauso wie das Gespür für Musik. Wir machen "Musik im Kopf"-Konzerte. Da gibt es Erkrankte, die alle Texte können von Liedern, die sie ihr Leben lang begleitet haben. Das ist sehr berührend.
    mima-mensch
    Martina Schäfer ist Friseurmeisterin in Essenheim. Sie hat sich auf die Arbeit mit Demenzkranken spezialisiert und ihren Salon in einer Seniorenresidenz ganz darauf ausgerichtet. Denn: Demente Kunden brauchen eine besondere Atmosphäre und Ansprache.19.06.2023 | 4:06 min
    ZDFheute: Wenn man 24/7 in der Pflege eines Angehörigen zu Hause steckt, ist man schnell überfordert. Worin begleiten Sie die Pflegenden?
    Von Bohlen und Halbach: Es hilft enorm, wenn die Angehörigen mal Druck ablassen, über das Thema sprechen können. Bekannte oder Verwandte wollen oft gar nichts mehr hören. Im Coaching kann man alles loswerden, auch Wut oder Trauer.
    Da sagt zum Beispiel jemand: "Ich habe so eine Wut auf meinen Mann, weil er jetzt krank ist und wir wollten unseren Lebensabend anders verbringen. Jetzt haben wir diese Krankheit und jetzt hänge ich auch noch mit drin."
    Und wir versuchen, die Menschen dahin zu bringen, dass sie den Blick wieder auf sich selbst richten und nicht in diese totale Überforderung, Burnout, Depressionen oder Sucht fallen.

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    In Deutschland sind schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen an Alkoholsucht erkrankt. Viele Betroffene merken das erst, wenn es schon zu spät ist. Was dann zu tun ist.
    von Olaf Schwabe
     Ein Weinglas wird gefüllt bei der gemeinsamen Jungweinprobe der Weinanbaugebiete Sachsen und Saale-Unstrut.
    mit Video
    ZDFheute: Was muss sich im Umgang mit Demenz verändern?‎
    Von Bohlen und Halbach: Man muss rausgehen in die Gesellschaft und über das Thema reden.
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    Ich wehre mich ‎dagegen, dass jemand ‎wegen dieser Krankheit Schamgefühle hat.

    Désirée von Bohlen und Halbach

    Vielleicht läuft einer mit ‎Bademantel in der Stadt rum, weil er vergessen hat ‎sich ‎umzuziehen. Aber das ist ja kein ‎Drama. Wenn ‎Menschen wissen: Der hat Demenz, dann lässt man ihn halt so rumlaufen oder fragt ihn, ob er irgendwo hin ‎will.
    Menschen mit Demenz und ihre Familien sind oft isoliert. Sie trauen sich nicht mehr raus, haben oder erleben Schamgefühle. Wir können die Demenz nicht weg coachen, aber wir können den Umgang damit erleichtern.
    Das Interview führte Cornelia Petereit, Redaktion "Volle Kanne - Service täglich"
    Désirée von Bohlen und Halbach
    Prinzessin Désirée von Bohlen und Halbach ist zu Gast bei Nadine Krüger. Weitere Themen: Barrierefreies Wohnen - Wer unterstützt bei Planung und Umbau?; Unterwegs mit dem Brückenprüfer; Saisonale Herbstfrüchte - Tipps und Tricks von Gartenexpertin Anja Koenzen; 135 Jahre Schöhnheitswettbewerb - über Historie und Modernisierung von Misswahlen; Diagnose Alzheimer-Krankheit - Neue Medikamente, neue Hoffnung?; Dr. Michael Lorrain im Gespräch über Ursachen , Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von Demenz; Andreas Rinke stellt sein ungewöhnliches Hobby - den Amateurfunk - vor; Neuer Deutscher Kinder-Pop unter anderem von Nilsen, Heavysaurus, Randale & Der Singende Bauernhof.21.09.2023 | 71:26 min

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