Überlebender: "Dass ich so etwas noch einmal erleben muss"

    Holocaust-Überlebender Cohen:"Dass ich so etwas noch einmal erleben muss"

    Britta Spiekermann
    von Britta Spiekermann
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    Zvi Cohen hat den Holocaust überlebt. Heute ist er 92 Jahre alt. Die Unmenschlichkeit der Hamas erinnert ihn an den Nazi-Terror während seiner Kindheit in Deutschland.

    Der Holocaust-Überlebende Zvi Cohen im Jahr 2014
    Der Holocaust-Überlebende Zvi Cohen im Jahr 2014
    Quelle: Metropol Verlag

    Der 7. Oktober hat für Zvi Cohen alles verändert. Cohen lebt im Kibbuz Ma’abarat mitten in Israel, "nicht im Norden, nicht im Süden, nicht da, wo die Menschen unter den Angriffen leiden".
    Sein Kibbuz blieb bis jetzt verschont und wurde zum Zufluchtsort für etwa 100 Menschen. Darunter sind viele Familien, deren Angehörige ermordet wurden oder vermisst werden, "die Gefangene sind der Hamas". Nicht nur sein Gefühl von Sicherheit in seinem Land ist zerstört.

    "Der Junge mit der Mundharmonika"

    Cohen wird 1931 in Berlin geboren, damals heißt er noch Horst Cohn. In Deutschland erlebt er unter der Nazi-Herrschaft Entrechtung, Demütigungen und Todesangst. In seinen Erinnerungen 'Der Junge mit der Mundharmonika' schreibt Cohen, "wir glaubten, Deutsche zu sein".
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    Die Familie sollte sich irren. Im Mai 1943 geschieht das, "was wir lange ohnmächtig kommen sahen". Bedrohlich fremde Schritte im Hausflur, Hämmern an der Tür. Er und seine Eltern werden nach Theresienstadt im heutigen Tschechien deportiert.
    Cohen ist überzeugt, dass sein Mundharmonika-Spiel ihrer aller Leben rettet, denn die SS-Männer, die die Familie abholen, erlauben, weil gnädig gestimmt, dass er mit seinen Eltern zusammenbleiben darf. Gemeinsam erleben sie das Grauen von Theresienstadt.   

    Auf Leben und Tod

    Theresienstadt ist die von den Nazis propagierte "jüdische Mustersiedlung". Hinter der Fassade gibt es Hunger, Krankheit und Tod. Allein hier sterben 35.000 Menschen. Wie durch ein Wunder überlebt die Familie Cohn. Als der Zusammenbruch des "Deutschen Reichs" bevorsteht, im Februar 1945, verhandelt SS-Reichsführer Himmler mit der Schweiz.
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    Gegen einen "exorbitanten Preis" werden Tausende Juden aus Theresienstadt freigelassen. Die Cohns sind unter ihnen. Vorher soll der damals 13-Jährige noch die Asche der Verhungerten aus dem Lager in einem Fluss entsorgen.
    Es ist reiner Zufall, dass er auf zwei der Papp-Urnen die Namen seiner Großeltern liest. So hat er die Gelegenheit, sich auf seine Art von seinen Großeltern zu verabschieden. "Es ist einer der Höhepunkte in meinem Leben."

    Freundin der Enkelin auf Festival ermordet

    Im September 1945 erreicht er Haifa in Israel und dann seinen Kibbuz Ma’abarat. Und aus Horst Cohn wird Zvi Cohen. Es ist von Anfang an ein Kampf. Sechstage-Krieg, Jom-Kippur-Krieg: Zvi Cohen ist immer dabei, hat seinen Kibbuz, sein Land verteidigt, in dem er sich endlich sicher fühlen wollte.
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    Der Hamas-Angriff vor über zwei Wochen kam für ihn völlig überraschend, auch seine Familie wird schwer verwundet. Die beste Freundin seiner Enkelin war auf dem Musik-Festival, wo die Terroristen rund 260 Menschen ermordeten. Cohen kann es nicht fassen:

    Sie wurde geschändet und bei lebendigem Leib verbrannt.

    Zvi Cohen über die beste Freundin seiner Enkelin

    Sie hieß Noy Aviv und wurde nur 27 Jahre alt. Seine Enkelin besucht ihn jeden Tag, sie lebt ganz in der Nähe. Sie geben sich Trost, soweit es geht. Zvi Cohen sieht sich an die dunkelsten Kapitel seiner Kindheit erinnert.
    Zvi Cohens Enkelin (re.) mit ihrer besten Freundin
    Zvi Cohens Enkelin (re.) mit ihrer besten Freundin, die auf dem Musik-Festival ermordet wurde.
    Quelle: privat

    "Nie wieder"

    Sein Glaube an dieses "Nie wieder" ist tief, seine Lebensaufgabe ist, zu erzählen, was war und nie wieder sein darf. Durch den Terror sieht er sich jetzt an die Gräueltaten der Nazis erinnert. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass sein Land so verwundbar ist.
    Die Hamas "hat das Land am allerschwächsten Punkt" getroffen. Die geplante Justizreform in Israel habe zu großer Uneinigkeit geführt. "Wir waren mit uns selbst beschäftigt und haben nicht aufgepasst, was an den Grenzen geschieht. Und so sind wir ganz unerwartet erwischt worden." 
    Die Araber hätten von Anfang an nur eine einzige Absicht gehabt, die Juden zu vertreiben. "Die wollen uns hier nicht. So ging es all die Jahre. Immer Kriege, immer Kämpfe."
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    "Ein ziemlich langer Krieg"

    Der 92-Jährige rechnet jetzt mit einem langen Krieg, "er wird nicht nur ein paar Tage dauern, wie der Sechs-Tage-Krieg. Es sieht etwas ernster aus, dass es ein ziemlich langer Krieg sein wird". Und fügt hinzu:

    Wir sind immer für den Frieden, aber wenn wir angegriffen werden, dann müssen wir uns auch wehren.

    Zvi Cohen

    Die Hoffnung hat er nicht aufgegeben: "Aber die Resultate sind manchmal nicht das, was man erhofft hat."
    Am Ende sagt er noch: "Ich schicke Ihnen ein Bild von meiner Enkelin und ihrer Freundin, damit Sie verstehen, was geschehen ist". Unter dem Foto macht er eine Notiz. "Ich bin ohne Worte – Der Opa Zvi Cohen."

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