Terror der Hamas: Was ein Holocaust-Zeitzeuge erlebte

    Interview

    Holocaust-Überlebender zu Terror:"Trauer, dass so etwas wieder vorkommen kann"

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    Wie gehen Holocaust-Überlebende mit der neuen Gewalt um, die sie in Israel gesehen haben? Leon Weintraub überlebte einst den Massenmord der Nazis - und ist retraumatisiert.

    Leon Weintraub
    Leon Weintraub war zum Zeitpunkt der Hamas-Anschläge zu Besuch in Israel - und ist mittlerweile wieder zurück in Europa.
    Quelle: Leon Weintraub

    Leon Weintraub, 97, hat den Holocaust überlebt. Am 7. Oktober erlebte der Arzt den Terrorangriff der Hamas in Israel. Die grausamen Bilder haben schlimmste Erinnerungen bei ihm geweckt.
    Von den circa 240.000 Holocaust-Überlebenden weltweit lebt etwa die Hälfte in Israel. Viele sind durch den aktuellen Terror retraumatisiert. Organisationen, die von der "Jewish Claims Conference" gefördert werden, unterstützen sie mit Medikamenten, Lebensmittelpaketen und psychologischer Beratung.

    Archiv: Holocaust-Überlebender Leon Weintraub am 26.01.2020
    Quelle: imago

    … ist Holocaust-Überlebender und setzt sich als Zeitzeuge und Autor mit Vorträgen gegen das Vergessen ein. Der aus einer einer jüdischen Familie im polnischen Łódź stammende Arzt überlebte mehrere Konzentrationslager, darunter Auschwitz-Birkenau und Flossenburg.

    Der Antisemitismus verfolgt ihn auch im weiteren Verlauf seines Lebens. Nach dem Medizinstudium in Göttingen, arbeitete er in Polen - emigrierte 1969 jedoch aufgrund der zunehmenden Judenfeindlichkeit nach Schweden.

    ZDF: Herr Weintraub, Sie waren am 7. Oktober in Israel, in Tel Aviv. Wie haben Sie den Terror der Hamas erlebt, diesen wahnsinnigen Terroranschlag?
    Leon Weintraub: Um halb acht morgens hat es uns geweckt. Ein furchtbares Geräusch für meine Ohren: die Sirenen. Und wir glaubten, es ist die Ambulanz oder Feuerwehr und es hat so lange gedauert. Und dann kam es: "Bum, bum" - ein dumpfes Geräusch von Anschlägen, Explosionen. Da dachten wir, das ist etwas anderes. Aber es hat seine Zeit gedauert, bis die ersten Nachrichten kamen, dass es ein Überfall ist. Und zwar überraschend.
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    Mich überkam ein innerer Frost. 1. September 1939 in Łódź - die Attackflugzeuge über unseren Köpfen - Richtung Warschau. Und die Lautsprecher, die an den Häusern angebracht wurden, mit dem Ruf "Uwaga, uwaga nadchodzą", "Achtung, Achtung, sie kommen". Als Warnung sozusagen. Und dann kam mir alles hoch, was hier heute folgte.
    Da kamen sie (damals) an: fast unendlich lang scheinende Züge von hochgewachsenen, jungen Soldaten. In den grünen Wehrmachtsuniformen und dann das Geschmetter der nagelbesohlten Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster.

    Wenn ich nur daran denke, geht mir ein kalter Schauer über meinen Rücken.

    Leon Weintraub, Holocaust-Überlebender

    Das bewirkte nicht Ehrfurcht, eher Angst. Und der Eindruck: Die strahlen so eine Kraft aus, dem kann nichts widerstehen. Die würden alles, was in den Weg kommt, zerschmettern.
    ZDF: Sie sind jetzt schon Jahrzehnte unterwegs, um über diesen Schrecken der Nazi-Zeit zu berichten und um diese Erinnerung wach zu halten. Sie gehen an Schulen und so weiter. Was bedeutet das für Sie, wenn jetzt nach so langer Zeit ein Schrecken in dieser Dimension zurückkehrt?
    Weintraub: Eine große Trauer, dass so etwas wieder vorkommen kann, dass die Menschheit nicht gelernt hat. Für mich gibt es nichts Heiligeres, wenn es überhaupt etwas Heiliges gibt, als das Menschenleben. Und in meiner Auffassung: es gibt nichts, keine Idee, keine Religion, die entschuldigen kann, wenn sie Menschenleben auslöscht.
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    ZDF: Was sagen Sie, als jemand, der den Holocaust überlebt hat, der in so vielen Formen darüber referiert hat, dass Juden jetzt Angst haben müssen, in Deutschland zu sein?
    Weintraub: Man kann sich an sowas nicht gewöhnen. Ich wiederhole: tiefe Trauer, aber auch Empörung, dass sowas zugelassen wird.
    Denn das wäre möglich zu vermeiden, wenn man die radikalen Kräfte entmachtet - nicht töten, aber ihnen alle finanzielle Unterstützung abschneidet.

    Denn das wäre möglich zu vermeiden, wenn man die radikalen Kräfte entmachtet - nicht töten, aber ihnen alle finanzielle Unterstützung abschneidet.

    Leon Weintraub, Holocaust-Überlebender

    Denn wenn sie kein Geld haben, können sie nicht wirken.
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    ZDF: Und würden Sie sagen, Herr Weintraub, haben wir jetzt einen Zeitpunkt erreicht, wo Juden in aller Welt wieder um ihr Überleben kämpfen müssen oder bangen müssen?
    Weintraub: Ich würde nicht sagen "kämpfen müssen". Eingestellt sind wir wieder einmal darauf, an den Pranger gestellt zu werden und wieder bedroht zu werden. Das ist wie bei der Nazi-Zeit. Es war straflos, Juden zu töten. Es war sogar angesagt - man sollte es tun, das war ja auch die Verteidigung von den Mördern, den Henkern. Es war ja legal.
    ZDF: Kann man in diesen Zeiten überhaupt optimistisch sein?
    Weintraub: Ich bin unheilbar optimistisch, weil ich an dieses Gewebe (zeigt auf Kopf) - an den gesunden Menschenverstand - glaube und tief überzeugt bin, dass das schließlich endlich, irgendwann mal siegen wird, Überhand nehmen wird. Und das Radikale, Fanatische, Einseitige, Verblendete doch langsam, nicht mehr Teil dessen sein werden.
    Als ich in den Ruhestand gegangen bin mit 65 Jahren, habe ich angefangen, mich einzusetzen für die Demokratie und gegen das Vergessen, von dem, was geschehen ist. Und das in Vergessenheit geraten zu lassen, wäre wie die Unschuldigen noch einmal zu töten.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
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    ZDF: Angesichts der aktuellen Ereignisse, was wäre denn Ihr Appell an diese völlig schreckliche Situation, die da jetzt bevorsteht?
    Weintraub: Es tut mir furchtbar leid, aber ich habe kein Rezept. Denn die Fanatiker, die grausame Taten durchführen, unschuldige Menschen auf die furchtbarste Art töten, da kann man nur versuchen, sie zu isolieren und ihre Möglichkeiten, sowas wieder durchzuführen, zu unterbinden.
    Wenn ich ein Skalpell ansetze an die Haut beim Operieren: Egal wie die Farbe der Haut ist, das Gewebe unter der Haut ist hundertprozentig identisch bei allen Menschen. Da gibt es keinen Unterschied.
    Das Interview führte Martina Morawietz vom ZDF-Magazin frontal
    Mitarbeit: Luca Lau

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