Tote in Gaza: Stürzte palästinensische Rakete auf Klinik?

    FAQ

    Explosion bei Gaza-Krankenhaus:Stürzte palästinensische Rakete auf Klinik?

    von Nils Metzger und Julia Klaus
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    Im Gazastreifen sind bei einer Explosion an einem Krankenhaus viele Menschen gestorben. Die Hamas hat die Todeszahlen wohl überhöht. Woher kam die Rakete?

    18.10.2023, Palästinensische Gebiete, Gaza-Stadt: Nach dem Angriff auf das Ahli Arab Hospital, bei dem Dutzende von Zivilisten getötet wurden, sieht man die Habseligkeiten der Menschen.
    Nach der Explosion eines Krankenhauses in Gaza wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation. Noch ist unklar, wer für die Tat verantwortlich ist.18.10.2023 | 1:30 min
    Am Tag nach der Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza standen verkohlte Autos auf dem Parkplatz hinter der Klinik. Bei einigen fehlen die Scheiben, Menschen stehen um die Trümmer herum. Am Dienstagabend ist hier ein Geschoss explodiert, das viele Menschen getötet haben soll.
    Die Terrororganisation Hamas beschuldigte noch am Abend Israel, für den Angriff verantwortlich zu sein. Das israelische Militär (IDF) sprach von einer fehlgeleiteten palästinensischen Rakete und legte am Mittwoch einen Audiomitschnitt und Drohnenaufnahmen vor, die ihre Version bestätigen sollen. Was lässt sich zum Hergang bislang gesichert sagen?

    Was wissen wir zu der abgefeuerten Rakete?

    Wer die Rakete abgefeuert hat, darüber gibt es noch keine abschließende Gewissheit. Videoaufnahmen vom Dienstagabend lassen aber erste Rückschlüsse zu. Den ersten Bericht über einen Angriff auf das Krankenhaus mit zahlreichen Opfern veröffentlichte der palästinensische Fernsehsender Al-Resalah um 19:10 Uhr Ortszeit auf Telegram.
    Krankenhausbeschuss in Gaza: "471 Tote"
    "Raketenalarm, das ist hier das tägliche Brot", sagt ZDF-Reporter Peter Böhmer in Tel Aviv. Ein Lichtblick: Mit "20 LKW voller Hilfsgüter" wolle Ägypten Gaza unterstützen, so ZDF-Reporterin Anna Feist in Kairo.19.10.2023 | 5:44 min
    Wenige Minuten vorher, um 18:59 Uhr Ortszeit, war in einem Livestream des Fernsehsenders Al Jazeera eine startende Rakete am Himmel zu sehen, die kurz darauf am Himmel explodiert. Wenige Sekunden später ist im Video eine große Explosion am Biden zu sehen. Im Feuerschein sind klar die Gebäude um das Klinikgelände zu erkennen.
    Zunächst war angenommen worden, dass die im Video zu sehende Rakete auch die Explosion am Krankenhaus ausgelöst haben könnte. Die offiziellen israelischen Medienkanäle und IDF-Sprecher Peter Lerner verwiesen etwa auf die Rakete im Al-Jazeera-Video. Die US-Medien "CNN" und "New York Times" wollen jedoch nachgewiesen haben, dass die aufsteigende Rakete nicht in Zusammenhang mit der nahezu zeitgleichen Explosion am Krankenhaus stehen soll. Die Explosion am Himmel soll sich mehrere Kilometer vom Krankenhaus entfernt ereignet haben.
    Al Jazeera Livestream mit aufsteigender Rakete
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    Das Video lässt also keinen eindeutigen Rückschluss auf die Ursache der Explosion zu. Es gibt aber weitere Hinweise, die eine aus unbekannten Gründen abgestürzte palästinensische Rakete in den Fokus rücken.
    Um 19 Uhr bekannte sich die Kassam-Brigade, der militärische Arm der Hamas, in dem Messenger Telegram: "Die Kassam-Brigaden haben Aschdod mit Raketen angegriffen." Aschdod liegt in Israel, nördlich des Gazastreifens. Zeitlich passt diese Mitteilung zum Video der abstürzenden Rakete.
    Die palästinensische Gesundheitsbehörde, die unter Kontrolle der Hamas steht, machte Israel für den Angriff verantwortlich. Das israelische Militär gab der Terrorgruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad die Schuld. Ein Sprecher der Gruppe wiederum dementierte das.
    GlobalPolitiX Israel Gaza
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    Was hat es mit der abgefangenen Tonaufnahme auf sich?

    Die IDF veröffentlichten am Mittwoch einen abgefangenen Audio-Mitschnitt, in dem angeblich zwei Hamas-Mitglieder zu hören sein sollen. "Sie sagen, dass sie zum Palästinensischen Islamischen Dschihad gehört", sagt darin eine Person über eine abgestürzte Rakete. "Ist sie von uns?", fragt die zweite Person. "Es sieht so aus", ist die Antwort.
    Die mutmaßlich durch Israel abgehörten Hamas-Mitglieder sprechen auch über den Ort der Katastrophe: "Sie haben sie vom Friedhof hinter dem [Al-Ahli-]Krankenhaus abgefeuert, sie zündete fehl und fiel auf sie."
    Tatsächlich liegt direkt neben dem Krankenhaus ein größeres Friedhofsareal. Die in den Aljazeera-Bildern von Dienstagabend zu sehenden Raketen wurden aber aus deutlich größerer Entfernung abgefeuert. Auch eine von der IDF veröffentlichte Karte, die den Abschussort der mutmaßlich fehlgeleiteten Rakete zeigen soll, deutet auf einen anderen Ort als den angrenzenden Friedhof hin. Eine ZDFheute-Nachfrage beim israelischen Militär brachte keine weitere Klärung. Möglich wäre jedoch, dass die nicht näher benannten Hamas-Vertreter in diesem Punkt falsche Informationen vorliegen hatten.
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    Was sagt der Explosionskrater aus?

    Fotos vom Morgen nach der Explosion zeigen einen kleinen Krater auf dem Klinik-Parkplatz. Er ist kaum zwei Meter breit und geschätzt weniger als 50 Zentimeter tief.
    Fliegerbomben mit 250 oder 500 Kilogramm, wie sie Israel über Gaza häufig einsetzt, hinterlassen nach Expertenmeinung deutlich größere Explosionskrater. Auch eine große Druckwelle hat die Explosion offenbar nicht ausgelöst. Empfindliche Solarpanele auf den Dächern der umliegenden Häuser schienen auf Bildern von Mittwochmorgen weitgehend unbeschädigt. Den Einsatz kleinerer israelischer Sprengkörper wie auch die Explosion einer fehlgeleiteten Rakete schließt der Krater hingegen nicht aus.
    Explosionskrater einer Rakete beim Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza
    Explosionskrater einer Rakete beim Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza
    Quelle: epa

    Bislang sind keine Fotos von Trümmerteilen der Rakete aufgetaucht. Sie könnten einen Rückschluss über den Verursacher zulassen. Sollte tatsächlich eine palästinensische Organisation verantwortlich sein, ist es wahrscheinlich, dass die Hamas die Veröffentlichung entsprechender Beweise unterbindet.
    Bereits in der Vergangenheit trafen Raketen palästinensischer Terrorgruppen versehentlich Ziele in Gaza. Allein in diesem Krieg sind laut IDF bereits 450 in Gaza abgefeuerte Raketen fehlgezündet und dann dort eingeschlagen.
    Im Gaza-Konflikt im Mai 2021 soll es nach IDF-Angaben 680 fehlgeleitete palästinensische Raketen gegeben haben. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet etwa über einen Vorfall vom 10. Mai 2021, als eine mutmaßliche Hamas-Rakete sieben palästinensische Zivilisten tötete.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
    ZDFheute Infografik
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    Streit über die Opferzahlen: Was ist bekannt?

    Die Hamas-Gesundheitsverwaltung in Gaza vermeldete bereits am Dienstagabend, dass 500 Menschen bei der Explosion gestorben seien. Bis Behörden eine so hohe Zahl an Opfern gesichert vermelden können, vergehen üblicherweise mehr als nur wenige Stunden. Ärzte des Krankenhauses hatten noch am Abend eine Pressekonferenz gegeben, bei der sie zwischen zahlreichen Leichen standen. In einem Aljazeera-Bericht unmittelbar nach der Explosion waren ebenfalls Dutzende Leichen zu sehen.
    Ein Bericht der US-Geheimdienste, den am Donnerstag mehrere Medien einsehen konnten, widerspricht den Hamas-Angaben: Die Zahl der Todesfälle bewege sich am "unteren Ende des Spektrums von 100 bis 300". Zudem gebe es "nur leichte strukturelle Schäden am Krankenhaus". Und: Israel habe das Krankenhaus im Gazastreifen "wahrscheinlich nicht bombardiert". Diese Schätzung stütze sich auf "verfügbare Berichte, einschließlich Geheimdienstinformationen, Raketenaktivitäten sowie Open-Source-Videos und Bildern des Vorfalls".
    Eine anonyme Quelle aus einem europäischen Geheimdienst hatte der Nachrichtenagentur AFP gegenüber gesagt: "Es gibt nicht 200 oder gar 500 Tote, sondern eher ein paar Dutzend, wahrscheinlich zwischen zehn und 50."
    Die Hamas und die ihr unterstehenden Behörden in Gaza haben einen klaren Anreiz, hohe oder sogar überhöhte Opferzahlen propagandistisch auszunutzen. Wie hoch die tatsächliche Zahl der Opfer ist, lässt sich weiterhin nicht exakt sagen.
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    Was hat es mit dem X-Post eines israelischen Bloggers auf sich?

    Viele pro-palästinensische Internetnutzer verwiesen am Mittwoch auf den X-Post eines israelischen Bloggers, der aktuell in der Social-Media-Kampagne der IDF tätig ist. Hananya Naftali hatte am Dienstagabend von einem israelischen Luftangriff "auf eine Hamas-Terroristenbasis in einem Krankenhaus in Gaza" geschrieben. Das wird nun als Schuldeingeständnis gewertet.
    Naftali löschte den Beitrag kurze Zeit darauf und entschuldigte sich für seinen "Fehler". "Ich habe einen von Reuters veröffentlichten Bericht über die Bombardierung des Krankenhauses geteilt, der fälschlich behauptete, dass Israel das Krankenhaus getroffen habe." Dennoch wird der Screnshot seines Beitrags weiter online verbreitet.

    Fazit

    Wer für die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus verantwortlich ist, kann derzeit nicht sicher gesagt werden. Israel wie auch palästinensische Gruppen machen sich gegenseitig Vorwürfe. US-Geheimdienst-Informationen zufolge sei Israel nicht für die Explosionen verantwortlich.
    Videos vom Zeitpunkt der Explosion lassen keinen eindeutigen Rückschluss auf den Auslöser zu. Kurz zuvor hatten palästinensische Terrororganisationen einen Raketen-Angriff in Richtung Israel vermeldet. Eine abgestürzte palästinensische Rakete gilt auch mit Blick auf die Schäden am Boden aktuell als wahrscheinlichste Option. Informationen zu Trümmerteilen, die weiteren Aufschluss geben würden, wurden bislang nicht veröffentlicht. Dass palästinensische Raketen über Gaza niedergehen, ist in der Vergangenheit bereits häufig vorgekommen.
    Zu den Todeszahlen gibt es unterschiedliche Angaben. Während die Hamas-Verwaltung von 500 spricht, schätzen US-Geheimdienste die Zahl auf 100 bis 300 Getötete. Eine europäische Nachrichtendienst-Quelle schätzt die Todeszahl noch geringer ein.
    Anmerkung: Wir haben diesen am 18.10.2023 veröffentlichten Artikel zwei Tage später um die Geheimdiensterkenntnisse ergänzt. Am 09.11.2023 wurden weitere neue Erkenntnisse zu der im Al-Jazeera-Livestream zu sehenden Rakete ergänzt.

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