Putin ohne echte Gegner: Warum er trotzdem Wahlkampf macht

    Wahlkampf ohne echte Gegner:Putins Kriegsoptimismus fürs Volk

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    Im März wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Bei der Aufstellung der Kandidaten passt der Kreml genau auf, wer Putin gefährlich werden könnte.

    Wladimir Putin nimmt an einem Gipfeltreffen des kollektiven Sicherheitsrates der OVKS in Minsk, Belarus, teil.
    Putin kandidiert erneut für die Präsidentschaftswahl am 17. März. Gegenkandidaten sitzen im Gefängnis, werden nicht zugelassen oder kandidieren nur zum Schein.03.01.2024 | 2:21 min
    Im Süden Moskaus steht ein landwirtschaftlicher Großbetrieb namens "Lenin". Eine gewaltige Tafel mit dem Konterfei des berühmten Kommunisten am Eingang gibt einen Hinweis darauf, wer auf dem Gelände das Sagen hat. Auf dem Hof des Betriebs herrscht munteres Treiben. Rot ist die dominierende Farbe. Der Hammer und die Sichel sind auf Fahnen zu sehen. Die kommunistische Partei Russlands hat hierher eingeladen. Medienwirksam beladen sie Lkw für die Front.
    Lastwagen-Fahrer Wladimir Piljowin steuert einen der Lastwagen. Er sympathisiert mit den Kommunisten und ist auch für den Krieg. Seine Meinung dazu ist auf Kreml-Linie. Auf seiner Jacke hat er das kriegsbefürwortende Z aufgebügelt. "Amerika hat leider alle Länder gegen Russland aufgebracht", erzählt Piljowin. Das aber sei ihr Fehler, denn Russland werde standhalten und siegen.

    Vermeintliche Oppositionspartei verbreitet Kremlpropaganda

    Die Veranstaltung am Rande Moskaus wirkt nicht wie die einer Oppositionspartei. Die Kommunisten sind auch nicht dafür bekannt, besonders kremlkritisch zu sein. Auf dem Innenhof steht Gennadi Sjuganow in einer knallroten Jacke. Er ist seit mehr als 30 Jahren Chef der Kommunisten. Seine Partei stellt zwar einen Kandidaten, doch der Chef selbst gibt sich vor unserer Kamera nicht als Wahlkämpfer, sondern als guter Patriot.

    Gegen die Menschen im Donbass wurde ein Krieg erklärt. Sie haben dort friedlich gelebt und in Fabriken gearbeitet. Und plötzlich kamen die Neonazis und haben ihnen ihr Gedankengut aufgezwungen und verboten, Russisch zu sprechen.

    Gennadi Sjuganow, Chef der Kommunistischen Partei Russlands

    Es ist Kremlsprech, den Sjuganow da verbreitet. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass der Kandidat der Kommunisten, Nikolai Charitonow, mehr pro forma aufgestellt wurde als mit eigenen Themen zu überzeugen. Obwohl diese mit den niedrigen Renten, dem Krieg und dem schlechten Gesundheitssystem durchaus gegeben wären.
    Firefighters work to extinguish a fire in a destroyed apartment building after a Russian attack in Kyiv, Ukraine, Tuesday, Jan. 2, 2024
    Russland setzt die Luftangriffe auf die Ukraine fort. Vor allem betroffen ist die Hauptstadt Kiew. Die Ukrainer berichten von Angriffen mit Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen.03.01.2024 | 2:08 min

    Putin will Angriffe in der Ukraine "noch einmal verstärken"

    Doch in diesen Tagen sollen sich alle hinter Putin versammeln, das ist der Plan des Kreml. Nichts soll seiner Wiederwahl im Weg stehen. Der Präsident selbst ist seit Neujahr sehr präsent. Bei seinen Auftritten gibt er sich optimistisch und kämpferisch. Russland überzieht die Ukraine zwar seit Tagen mit Raketenterror, doch Putin sieht sein Land in Gefahr und droht mit noch schwereren Attacken.
    "Sie wollen uns einschüchtern und eine Art Unsicherheit in unserem Land schaffen. Aber wir werden unsere Angriffe noch einmal verstärken. Darüber hinaus liegt die strategische Initiative heute in unseren Händen", sagt Putin.
    Steinbüsten von Stalin und Putin
    Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat den Wandel Russlands zur Diktatur beschleunigt. Wird aus Putin ein Stalin 2.0?10.10.2023 | 43:48 min

    Unabhängige Kandidatin nicht zur Wahl in Russland zugelassen

    Der Kreml will im Wahljahr Optimismus verbreiten. Vor allem will man zeigen, dass es in der Ukraine vorwärtsgeht. Ein Sieg 2024, so die Botschaft, sei möglich und wahrscheinlich. Damit trägt der Kreml auch den jüngsten Umfragen Rechnung, nach denen sich mehr als die Hälfte der Russen ein baldiges Ende des Krieges wünscht. Dass die Wahlen hingegen eine Überraschung bringen, glaubt in Moskau kaum jemand. Trotzdem sorgt die Aufstellung der Kandidaten für einigen Rummel.
    So hatte Ekaterina Dunzowa kurzzeitig für Aufregung gesorgt. Die 40-jährige ehemalige Journalistin hatte erklärt, als unabhängige Kandidatin kandidieren zu wollen. Sie sei gegen den Krieg und für Demokratie. Worte, die aufhorchen ließen. Doch am 23. Dezember 2023 entschied ein Gericht in Moskau, ihre Kandidatur nicht zuzulassen und gab als Grund "Fehler in den Dokumenten" an.
    Der russische Präsident Wladimir Putin auf einer jährlichen Pressekonferenz.
    Bei seiner jährlichen Pressekonferenz sagte der russische Präsident Putin, dass er an den Zielen im Ukraine-Krieg festhält. Nur ausgewählte Fragen waren an Putin zugelassen.14.12.2023 | 1:47 min
    Bereits vor dieser Entscheidung wurden Dunzowas Konten gesperrt, es scheint, als habe sie mit ihrer Kandidatur die Mächtigen in Moskau überrascht. Nach der Entscheidung des Gerichts kündigte sie an, weiterkämpfen zu wollen und eine eigene Partei zu gründen.

    Es gibt keine Partei, die gleichzeitig die Werte für einen Frieden vermittelt und dabei auch verteidigt. Ich bin der Auffassung, dass wir mit der Initiative antreten müssen, eine politische Partei zu schaffen, die uns alle repräsentieren würde.

    Ekaterina Dunzowa, russische Politikerin

    Boris Nadjeschdin: Einzig verbliebener unabhängiger Kandidat

    Boris Nadjeschdin ist jetzt der einzig verbliebene unabhängige Kandidat, der mit einer kremlkritischen Meinung an den Start gehen könnte. Er ist ein ehemaliger Verbündeter des 2015 erschossenen Kremlkritikers Boris Nemzow und hat sich bereits mehrfach gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen. Kritiker sagen jedoch, dass er vom Kreml nur deshalb geduldet werde, damit niemand sagen könne, dass keine unabhängigen Kandidaten zugelassen seien.
    Ob Nadjeschdin die Russen mobilisieren kann oder nicht, wird sich zeigen. Erst einmal muss er bis Ende Januar 100.000 Unterschriften sammeln. Erst dann kann er zur Wahl zugelassen werden. Vorausgesetzt, die kremltreue russische Justiz schreitet nicht vorher noch ein.
    Sebastian Ehm berichtet als ZDF-Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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    :Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

    Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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