Warum Israel Videos der Hamas-Verbrechen zeigt

    Vorführung in der Botschaft:Warum Israel die Hamas-Verbrechen zeigt

    Jan Schneider
    von Jan Schneider
    |

    Israels Botschaft zeigt deutschen Journalisten einen Zusammenschnitt der Hamas-Gräuel vom 7. Oktober. Was ist darin zu sehen und warum geht Netanjahus Regierung diesen Schritt?

    Israelische Botschaft in Berlin. Archivbild
    Quelle: picture alliance / dpa

    Es war alles andere als ein gewöhnlicher Termin, zu dem die israelische Botschaft in Berlin am vergangenen Donnerstag eingeladen hatte. Journalistinnen und Journalisten sollte gezeigt werden, was bei dem Angriff der Hamas-Terroristen in der Grenzregion zum Gaza-Streifen wirklich passiert ist - und wie grausam es war.
    Der Titel des Films lautete übersetzt "7. Oktober 2023 - Hamas-Massaker, gesammeltes Rohmaterial". Für das ZDF hat sich unter anderem die stellvertretende Leiterin des Hauptstadtstudios, Shakuntala Banerjee, den ca. 45-minütigen Zusammenschnitt angesehen.
    Israel Palestinians
    Einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas wird deutlich, wie sehr sich das Leben der Menschen in Israel verändert hat. Wie könnte eine friedliche Zukunft für das Land aussehen?05.11.2023 | 2:40 min

    Woher stammt das Videomaterial?

    Der Film ist nach Angaben der israelischen Regierung ein kleiner Auszug aus etlichen Stunden Videomaterial, die nach den Hamas-Angriffen gesichert und gesichtet wurden. Es sind Aufnahmen aus unterschiedlichen Quellen: Viele stammen von den Terroristen selbst: Von Bodycams, die sie während der Angriffe getragen haben, von den Dashcams ihrer Fahrzeuge.
    Es gibt Aufnahmen von Sicherheits- und Verkehrsüberwachungskameras, Handyvideos von Opfern, Hilfskräften und Soldaten. Manches übertrugen die Terroristen während des Massakers live ins Netz, einiges ist noch immer auf Social Media zu finden, anderes wiederum gibt Israels Regierung mit diesem Zusammenschnitt erstmals unter strengen Auflagen für Journalistinnen und Journalisten sowie für Diplomaten und Politikerinnen zur Ansicht frei.
    In Berlin sind ein gutes Dutzend Redakteurinnen und Redakteure der Einladung gefolgt. Auch Israels Botschafter, Ron Prosor, ist dabei. Er selbst sehe das Video auch zum ersten Mal, sagt er und erklärt, warum an diesem Abend die Handys draußen bleiben müssen: Die Angehörigen der 138 Opfer, die im Zusammenschnitt zu sehen sind, hatten der Vorführung zugestimmt. Eine weitere Verbreitung durch Ton oder Videoaufnahmen war jedoch strikt verboten. Es sei schlimm genug, dass Videos des Massakers bereits im Netz kursierten und auf Plattformen wie Telegram immer noch verbreitet würden.
    Führende Köpfe der Hamas
    Der Angriff der Hamas kam für Israel völlig überraschend. Doch wer steckt hinter den Terroristen, wer sind die Anführer?30.10.2023 | 2:09 min

    Was ist auf den Aufnahmen zu sehen?

    Es ist schwer, das zu beschreiben, ohne eine Grenze des Zumutbaren zu überschreiten. Sollten Sie Probleme bei der Beschreibung von Gewalt haben, ist es besser, diesen Absatz zu überspringen.
    Etwa 30 Dörfer wurden am 7. Oktober überfallen, mehr als 1.300 Menschen, laut Angaben der israelischen Regierung getötet - davon 1.100 Zivilisten. Die Aufnahmen zeigen, wie die Hamas-Terroristen wahllos wehrlose Menschen erschießen, völlig gleich welchen Alters oder Geschlechts. Die Opfer werden "komplett entmenschlicht", beschreibt Shakuntala Banerjee das Gesehene: Menschen werden in ihren Autos, ihren Häusern, in Verstecken und auf offenem Gelände erschossen, ihre Leichen geplündert und  angezündet. Man sieht verstümmelte und vergewaltigte Körper und Szenen, die den Schluss nahelegen, dass nicht alle, die von den Terroristen verbrannt wurden, zu diesem Zeitpunkt schon tot waren. Zwischendurch immer wieder Terroristen, die sich und ihre Taten mit Blick in die Kamera bejubeln und sich per Funk und Mobiltelefon vor Anführern und Familie als Helden feiern.

    Es war eine Mischung aus Brutalität, Erbarmungslosigkeit und Euphorie; mit dem klaren Ziel, so viele Juden zu töten wie möglich.

    Shakuntala Banerjee, ZDF-Hauptstadtkorrespondentin

    Zugleich seien die Terroristen organisiert vorgegangen, hätten systematisch jeden Winkel nach Opfern abgesucht und den Getöteten in aller Ruhe die Handys aus den Taschen entwendet. Banerjee beschrieb das Vorgehen als "kalkulierte Raserei", die stark an den IS erinnert.
    Ein offenbar verletzter Mann sitzt weinend im Rollstuhl
    Samstagfrüh im Süden Israels: Tausende junge Festivalbesucher tanzen ausgelassen in den Morgen. Kurz darauf fliehen sie in Todesangst vor den Terroristen der Hamas.12.10.2023 | 10:16 min
    Das Material zu sehen, war auch für die erfahrenen Nachrichtenjournalisten eine Herausforderung. Und das, obwohl einige explizite Szenen so geschnitten wurden, dass die Zuschauer das Töten nicht aus nächster Nähe betrachten mussten.

    Warum zeigt Israel diese Bilder?

    Die Vorführung des Zusammenschnitts in der Botschaft in Berlin ist nicht das erste Mal, dass die israelische Regierung dieses Material zeigt. Auch in der Knesset, dem israelischen Parlament, wurde es abgespielt. Videos von aufgelöst weinenden Abgeordneten nach der Vorführung haben ebenfalls im Netz die Runde gemacht.
    Die Regierung von Benjamin Netanjahu dürfte verschiedene Gründe haben, warum sie mit den grausamen Aufnahmen in die Offensive geht. Klar ist: Es ist ein Schritt der Gegenwehr gegen sich immer weiter verbreitende Falschbehauptungen, die Angriffe vom 7. Oktober habe es gar nicht gegeben oder seien nicht annähernd so schlimm gewesen, wie von Israel behauptet.
    Sie sollen vermutlich auch als Gegengewicht gegen die Bilder der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen dienen. Diese sind schon jetzt wesentlich präsenter in den Nachrichten und den Köpfen der Menschen. Die Macht dieser Bilder sieht auch der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München:

    Je länger diese Operation andauert, desto mehr wird die internationale Solidarität mit Israel schwinden.

    Carlo Masala, Universität der Bundeswehr München

    Tatsächlich sieht sich Israel international schon jetzt massiver Kritik angesichts seiner Angriffe im Gazastreifen ausgesetzt: von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, den Vereinten Nationen und einer Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten. Nicht alle stellen dabei Israels Recht auf Selbstverteidigung in Frage, doch viele halten die militärische Reaktion auf den Terror für unverhältnismäßig - und dieser Eindruck wächst mit jedem Tag, an dem die Erinnerung an die Hamas-Gräuel ein wenig mehr verblasst.

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
    Liveblog

    Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt