Angriff auf Rafah: Hat Israel eine Schutzzone bombardiert?

    Faktencheck

    Luftangriff auf Rafah:Hat Israel eine Schutzzone bombardiert?

    von Oliver Klein und Nils Metzger
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    Beim Luftangriff auf Rafah starben viele Zivilisten. Hat Israel Flüchtlinge in seiner eigenen Schutzzone bombardiert? Eine ZDFheute-Analyse widerlegt diesen Vorwurf.

    Überlebende eines israelischen Luftangriffs bei Rafah
    Bei einem Luftangriff des israelischen Militärs nahe Rafah ist auch ein Flüchtlingslager getroffen worden. Israels Armee leitet nun eine Untersuchung zu dem Angriff ein.27.05.2024 | 1:30 min
    Bei einem israelischen Luftangriff in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen sind nach Angaben von Hilfsorganisationen zahlreiche Menschen in einem Zeltlager mit geflüchteten Zivilisten ums Leben gekommen. Lag das Lager in einer von Israel selbst ausgerufenen Schutzzone? Wie sind die Reaktionen auf den Angriff? ZDFheute beantwortet die wichtigsten Fragen.

    Wo fand der Angriff statt?

    Das Bombardement ereignete sich nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmonds am Sonntag nördlich der Stadt Rafah. Israels Militär führt weiterhin eine Offensive gegen dort versteckte Kämpfer der Hamas durch.
    Luc Walpot, ZDF-Korrespondent in Ramallah
    Nach dem Angriff auf ein Flüchtlingslager habe die "palästinensische Autonomiebehörde Israel klar vorgeworfen, das sei ein absichtlicher Angriff", erklärt Luc Walpot, ZDF-Korrespondent in Ramallah. Dies "bestreitet Israel jedoch".28.05.2024 | 3:04 min

    Wie viele Opfer gibt es?

    In einer Rettungsstelle habe man "Dutzende Verletzte und mehr als 15 Tote" gezählt, schilderte die Organisation Ärzte ohne Grenzen.
    Ärzte ohne Grenzen auf X
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    Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sprach in der Nacht zum Montag von einem "Massaker" und 45 getöteten Menschen, die meisten seien Frauen und Kinder. In sozialen Medien kursierten Videos, die zeigten, wie Leichen aus brennenden Zelten geborgen wurden.
    Trümmerstraße in Rafah, weitwinkel
    Israels Premier Netanjahu steht wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen unter Druck. Kritiker bemängeln auch, seine Regierung habe keinen Plan für eine Nachkriegsordnung in Gaza.22.05.2024 | 7:04 min

    Wo liegt die von Israel eingerichtete Schutzzone?

    Der Rote Halbmond erklärte, das vom Luftangriff getroffene Gebiet sei als humanitäre Schutzzone ausgewiesen. Zehntausendfach teilen derzeit auch Internetnutzer ein Flugblatt der israelischen Armee, das diesen Vorwurf vermeintlich untermauern soll. Der Vorwurf in vielen Postings: Das israelische Militär (IDF) habe den Angriff absichtlich in einem Areal durchgeführt, das zuvor explizit als Schutzzone ausgewiesen wurde. Dieser Vorwurf beruht jedoch auf nicht korrekten Annahmen, wo genau die Grenze der Schutzzone verläuft.
    Rauch steigt über Rafah im Gazastreifen auf.
    Die USA haben Israel aufgefordert, mehr humanitäre Hilfe im Gazastreifen zuzulassen.25.05.2024 | 0:27 min
    Die IDF hatten für die palästinensische Bevölkerung immer wieder Schutzzonen ausgewiesen, worin die Zivilbevölkerung vor den Angriffen Zuflucht finden könne. Die Armee informiert über diese Gebiete unter anderem mit Flugblättern oder in Videos. Auch haben die IDF den gesamten Gazastreifen in durchnummerierte Zonen eingeteilt. Der Luftangriff erfolgte palästinensischen Angaben zufolge auf Block 2371, "einem der sicheren Bereiche, den die israelischen Besatzer genannt hatten", wie es heißt.
    Aber: Nicht die gesamte Parzelle 2371, sondern nur ein kleiner Teil davon liegt innerhalb der ausgewiesenen Schutzzone. So ist das in den Karten der israelischen Streitkräfte stets dargestellt, wie man auf der IDF-Webseite und den von Israel verteilten Flugblättern nachlesen kann.
    Gaza, Schutzzone, Karte, Markierung
    Der Ort des Luftangriffs neben einem UN-Gelände in Rafah (orange) und der Verlauf der israelischen Schutzzone (rot). Die Zahlen stellen die israelische Durchnummerierung der Gebiete dar.

    Liegt der UN-Komplex in einer Schutzzone?

    Von ZDFheute geolokalisierte Bildaufnahmen zeigen, dass die vom Feuer betroffenen Gebiete gar nicht im Gebiet 2371 lagen, sondern in der benachbarten Parzelle 2372, die ebenfalls außerhalb der Schutzzone liegt. Getroffen wurde das 2024 neu errichtete Lager "Kuwaiti Peace Camp", das etwa einen Kilometer außerhalb der Schutzzone, direkt neben einem UN-Gebäudekomplex, liegt.
    Auf Satellitenbildern wie auch Karten der israelischen Armee ist das UN-Gelände in den Gebieten 2372 und 2368 verzeichnet. Die UN-Gebäude sind in Aufnahmen aus der vergangenen Nacht klar erkennbar, dahinter der Feuerschein der brennenden Zelte.
    Ort des Luftangriffs
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    Auf Agenturbildern vom Morgen danach sind die UN-Gebäude hinter den niedergebrannten Unterkünften zu sehen; der Turm einer Moschee in Rafah im Hintergrund erlaubt die genaue Bestimmung des Blickwinkels, aus dem das Bild aufgenommen wurde. Die Aufnahme entstand unmittelbar nord-östlich des UN-Compounds. Diese Bilder belegen darum, dass der Ort des tödlichen Angriffs im Gebiet 2372 und damit außerhalb der Schutzzone lag.
    Palästinensische Gebiete, Rafah: Palästinenser inspizieren zerstörte Zelte und Unterkünfte neben einem ausgebrannten Auto nach einem israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager.
    Ausgebrannte Unterkünfte im Zeltlager "Kuwaiti Peace Camp": Im Hintergrund rot markiert sind die UN-Gebäude.
    Quelle: epa

    Ein Sprecher der israelischen Streitkräfte stellte am Montag auf dem Kurznachrichtendienst X ebenfalls klar, dass der Angriff außerhalb der humanitären Zone erfolgt sei:

    Der Schlag erfolgte nicht in der gekennzeichneten humanitären Zone.

    Peter Lerner, IDF-Sprecher

    Ist der Angriff ein Kriegsverbrechen?

    Auch wenn der Angriff aktuellen Erkenntnissen zufolge außerhalb der erklärten Schutzzone erfolgte, könnte er dennoch die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzt haben. Angriffe müssen etwa das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten. Zivile Opfer bedeuten nicht automatisch ein Kriegsverbrechen, müssen aber begrenzt werden.
    Der Angriff könnte einen Verstoß gegen Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von Freitag darstellen. Der hatte Israel verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah unverzüglich zu beenden - so die Urteilsbegründung des südafrikanischen IGH-Richters. Der israelische Vertreter am Gericht interpretierte das Urteil hingegen so, dass lediglich solche Militäraktionen in Rafah zu unterlassen seien, die auf eine Zerstörung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza abzielten; eine Absicht, die Israel verneint.
    Die israelischen Streitkräfte leiteten am Montag nach eigenen Angaben eine Untersuchung des Luftangriffs ein.

    Wem galt der Angriff?

    Laut dem israelischen Militär hatte der Geheimdienst vor dem Angriff bedeutende Hamas-Terroristen auf dem Gelände ausgemacht - zwei von ihnen seien getötet worden. Neben Jassin Rabia, dem maßgeblichen Kopf hinter den Terroraktivitäten der Hamas im Westjordanland, sei auch der ranghohe Hamas-Terrorist Chaled Nagar getötet worden. Beide seien maßgeblich an der Planung und Finanzierung von Anschlägen beteiligt gewesen und hätten das Leben israelischer Soldaten auf dem Gewissen.
    People take part in a protest demanding the immediate release of hostages, in Tel Aviv
    Es war der erste Alarm im Großraum Tel Aviv seit Monaten: Erneut hat die militant-islamistische Hamas Raketen auf Israel abgefeuert. Die Angriffe erfolgten vom Gaza-Streifen aus.26.05.2024 | 2:09 min
    Diese Angaben des israelischen Militärs ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die Terrororganisation Hamas hatte am Sonntag erstmals seit Monaten wieder Raketen vom Gazastreifen auf Tel Aviv abgefeuert.

    Welche Reaktionen löste der Angriff aus?

    Mehrere arabische Staaten, darunter Jordanien und Katar, verurteilten den israelischen Luftangriff. Ägypten sprach von einer "absichtlichen Bombardierung der Zelte der Geflüchteten". Die Hamas rief zu Protestaktionen auf.
    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte Israel auf, unverzüglich die Angriffe auf Rafah zu stoppen. Die Anordnung des IGH müsse umgesetzt werden, so Borrell. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock äußerte sich ähnlich. Das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) nannte den Angriff auf der Plattform X "entsetzlich". Gaza sei "die Hölle auf Erden", kein Ort und niemand seien sicher.
    Posting des UNRWA
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    Hinweis 27. Mai 2024, 22 Uhr: Die Zusammenfassung des IGH-Urteils gegen Israel wurde um die unterschiedlichen Deutungen der beteiligten Richter konkretisiert.

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Demonstranten mit Plakaten, darunter eines mit der Geisel Noa Argamani
    Liveblog
    Quelle: mit Material von dpa, AFP, AP

    Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt