John Bolton zum Ukraine-Krieg: Westen fehlt klare Strategie

    Interview

    John Bolton zum Ukraine-Krieg:Dem Westen fehlt eine klare Strategie

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    John Bolton, früherer UN-Botschafter und Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater, zieht nach einem Jahr Krieg eine ernüchternde Bilanz. Er meint, USA und Nato haben versagt.

    Ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist ein Ende des Krieges noch nicht in Sicht. Seitdem hat der Westen bei der Unterstützung der Ukraine Fehler gemacht, findet John Bolton. Der ehemalige UN-Botschafter unter George W. Bush war 2018/19 auch Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump. Heute steht er diesem kritisch gegenüber. Im Interview schätzt er die Situation der Ukraine und die Chance auf Frieden ein.
    ZDFheute: Ein Jahr nach der russischen Großinvasion der Ukraine – wie sehen Sie die Situation?  
    John Bolton: Zunächst, glaube ich, dass die Vereinigten Staaten und die Nato kläglich versagt haben, die Russen von einer Invasion abzuhalten. Die westliche Reaktion auf die Besetzung der Krim 2014 war völlig unzureichend, sehr schwach. Es gab ein paar Sanktionen gegen die Russen.
    Aber im Grunde genommen denke ich, dass der Kreml das Fehlen einer wirksamen westlichen Reaktion als Duldung interpretiert hat. Unsere Sanktionen hätten viel härter ausfallen müssen. Viele haben damals gesagt, um Himmels willen nicht, sonst marschieren die Russen ein. Was soll‘s. Sie sind einmarschiert.
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    2014 annektiert Russland die Krim. Die internationale Friedensordnung ist schon in den Folgejahren hoch gefährdet.17.03.2015 | 43:57 min
    Und zweitens finde ich, dass wir den Ukrainern schon viel früher bessere Waffensysteme und Training hätten liefern müssen. Ich glaube, dass wir von den Russen und ihrer Drohung, dass der Krieg irgendwie ausgeweitet wird, abgeschreckt und eingeschüchtert worden sind.  Sie haben uns mehr abgeschreckt als wir sie.  
     ZDFheute: Was ist aus Ihrer Sicht sonst noch schiefgelaufen?  
    John Bolton: Präsident George W. Bush hat im April 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest vorgeschlagen, die Ukraine und Georgien im Schnellverfahren in die Nato aufzunehmen. Das war die richtige Entscheidung. Doch Deutschland und Frankreich waren dagegen. Ich glaube, dass es schon 2014 keine Invasion gegeben hätte, wenn die Ukraine damals schnell in das Nato-Bündnis aufgenommen worden wäre.   
    ZDFheute: Wie schätzen Sie die amerikanische Unterstützung für die Ukraine ein, wenn der Krieg noch lange andauert? 
    John Bolton: Ich denke, die Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung ist nach wie vor sehr groß - auch wenn es das Virus des Isolationismus sowohl in der Demokratischen Partei als auch in der Republikanischen Partei gibt. Einige dieser falschen Vorstellungen stammen von Donald Trump, der die Ukraine einfach nur als korrupt ansieht und glaubt, dass die Ukrainer seine Wahl 2016 verhindern wollten. 
    Doch ich mache mir weniger Sorgen um die amerikanische Entschlossenheit. Ehrlich gesagt, sorgt mich mehr, dass den Europäern die Willenskraft fehlt, den Krieg längerfristig zu unterstützen. 
     
    ZDFheute: Sie haben in einem Interview vor kurzem gesagt, Putin sähe Deutschland als schwaches Glied in der Gemeinschaft der Unterstützer der Ukraine, warum? 
    John Bolton: Putin glaubt, dass die deutsche Wirtschaft, die französische Wirtschaft und einige Unternehmen aus anderen europäischen Staaten einen Schlussstrich ziehen wollten, um wieder zur Tagesordnung überzugehen. Putin glaubt, dass die wirtschaftlichen Waffen in Verbindung mit dem Winter Auswirkungen auf Europa haben könnten. Hoffentlich wird es nicht dazu kommen. Aber wenn dieser Krieg im nächsten Jahr weitergeht, könnte das passieren.  



    Es gibt Spannungen innerhalb der Nato, die zum Teil durch den französischen Präsidenten Macron verursacht wurden.  Putin und anderen im Kreml glauben, dass es innerhalb der Allianz Risse gibt, die sie ausnutzen können. Aber ich denke, angesichts der Pattsituation in der Ukraine heute ist das Ziel des Kremls, politisch zu gewinnen, was auf dem Schlachtfeld nicht zu gewinnen ist.
    ZDFheute: Sehen Sie eine Möglichkeit Frieden durch Verhandlungen zu erreichen? 
     
    John Bolton: Ich sehe keinen anderen Weg als den, den die finnische Premierministerin vor einigen Wochen vorgeschlagen hat: Die russischen Truppen müssen die Ukraine verlassen, um den Weg für Verhandlungen freizumachen. Das ist die Ausweichroute.  
    Ein langanhaltender Krieg nützt nur den Russen. Er gibt Russland mehr Zeit, die schweren militärischen Fehler zu korrigieren, die sie gemacht haben. Und Zeit ist für die Ukraine weitaus kostspieliger als für jede andere Partei. Ich glaube, allein schon unter humanitären Gesichtspunkten müssen wir unsere militärischen Hilfen beschleunigen, damit die Ukraine so schnell wie möglich wieder ein normales Leben führen kann.  
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    "Wir wollen schon heute Frieden, aber Putin scheint nicht soweit zu sein und deswegen brauchen wir die Waffen, um Putin dazu zu bewegen", so der ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk.07.02.2023 | 7:53 min
    ZDFheute: Wie glauben Sie kann das erreicht werden?  
    John Bolton: Meiner Meinung nach brauchen wir eine effektive westlichen Strategie, um den Krieg zu unseren Bedingungen zu gewinnen. Wir streiten uns über dieses und jenes Waffensystem, aber Listen von Waffen ergeben noch lange keine Strategie. 

    Ich würde gerne hören, wie wir die russischen Truppen hinter die russischen Grenzen zurückbringen wollen. Wenn man seine Ziele nicht klar benennt, kann man auch keine Mittel und Methoden entwickeln, um sie zu erreichen.  
    Das Interview führte Johannes Hano, der Leiter des ZDF-Studios New York im Rahmen der Zeitenwende-Doku für das auslandsjournal. Sehen Sie die Doku hier:
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