Alter Streit: Sind Lauterbachs Corona-Warnungen Panikmache?

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    Alter Streit flammt wieder auf:Sind Lauterbachs Corona-Warnungen Panikmache?

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Gesundheitsminister Lauterbach warnt vor mehr Corona-Infektionen und fordert, auf Weihnachtsfeiern zu verzichten. Wie ist die Corona-Lage, welche Maßnahmen sind noch angemessen?

    Berlin: Karl Lauterbach zieht Mund-Nasen-Schutzmaske auf, Archivbild
    "Corona bleibt gefährlich" - Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnt vor einer massiven Krankheitswelle zu Weihnachten.
    Quelle: dpa

    Die Meldungen klingen, als wären sie mindestens zwei Jahre alt: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnt wegen Corona-Infektionen vor dem Besuch von Weihnachtsfeiern und empfiehlt stattdessen Impfungen und das Tragen von Masken - wieder mal. Dafür sieht er sich mit einem alten Vorwurf konfrontiert: Panikmache.
    Was ist dran an Lauterbachs Warnungen? Wie ist die aktuelle Corona-Situation und was sagen Experten dazu? Welche Maßnahmen sind jetzt noch angemessen? ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.

    Wovor hat Lauterbach genau gewarnt?

    Lauterbach warnte in der "Bild am Sonntag": "Corona bleibt gefährlich. Es ist keine Erkältung, die man sich bedenkenlos jede Saison einfangen kann". Er riet zudem, "lieber noch mal Maske in Bus und Bahn" zu tragen. Wenn es gehe, sollte man "lieber im Homeoffice bleiben, als die Bürogesellschaft zu genießen". Kurz vor Weihnachten sollte man "am besten auf große Feiern in Innenräumen verzichten". Jede Form der Ansteckung sollte seiner Meinung nach vermieden werden.
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    Wie ist die aktuelle Corona-Lage?

    Tatsächlich gibt es seit Wochen immer mehr Corona-Infektionen, darauf deuten alle verfügbaren Indikatoren hin. Weil nicht mehr flächendeckend getestet wird, lassen sich Rückschlüsse auf die Infektionslage nur noch indirekt ermitteln. Ein wichtiger Indikator dafür ist die Viruslast, die im Abwasser gemessen wird - und diese Kurve des sogenannten Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung, kurz Amelag, zeigt seit bereits Juni nach oben.
    Auch die Zahl der Covid-Diagnosen beim Arzt ist laut dem Pandemieradar des Bundesgesundheitsministeriums in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen und liegt derzeit bei rund 250 pro 100.000 Einwohner - etwa das Niveau des vergangenen Frühjahrs. Über 1.100 Menschen liegen derzeit in Deutschland laut dem Divi-Intensivregister mit Covid-19-Diagnose auf der Intensivstation. Tendenz: steigend.

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    Welche Kritik gibt es an Lauterbachs Warnungen?

    Lauterbachs Warnungen riefen sofort Widerspruch hervor. In einem Interview mit "Bild" spricht Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von "nicht enden wollender Panikmache". Es sei schon das vierte Weihnachtsfest mit Corona. "Den Menschen im Land ist zuzutrauen, dass sie mittlerweile wissen, wie sie mit diesen Viren umgehen müssen", so Kubicki.
    Auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit will sich Lauterbachs Empfehlungen nicht anschließen: "Jeder hat ein unterschiedliches Risiko für einen schweren Covid-Verlauf oder Long Covid. Bei manchen liegt die letzte Impfung oder die letzte Infektion noch nicht lange zurück", so Schmidt-Chanasit im Gespräch mit ZDFheute.

    Da würde ich doch nicht pauschal allen abraten, auf eine Weihnachtsfeier zu gehen. Das muss jeder individuell für sich entscheiden.

    Jonas Schmidt-Chanasit

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    Was sind die Folgen der aktuellen Krankheitswelle?

    Eine generelle Überlastung des Gesundheitssystems droht zwar schon lange nicht mehr, dennoch machen derzeit viele Krankheitsfälle - nicht nur Covid - den Kliniken zu schaffen, sagt Gerald Gaß, der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Die hohe Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die selbst wegen Grippe oder Corona ausfallen, bereiten ihm "große Sorgen", erklärte er der "Zeit".
    Derzeit liege die Krankenquote allein beim Pflegepersonal bei über zehn Prozent, höher als vor der Pandemie zu dieser Jahreszeit üblich. An einigen Orten würden Krankenhäuser deshalb bereits Betten sperren, ihre Notaufnahmen abmelden und planbare Operationen verschieben, so Gaß.
    Auch in anderen Bereichen ist die Krankheitswelle spürbar: So fielen im Rhein-Main-Gebiet zuletzt immer wieder Bahnen und Busse aus, ebenso in der Region Stuttgart, in der Pfalz oder rund um Bonn oder Trier. Der Grund: Kranke Lokführer oder Fahrdienstleiter in Stellwerken.
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    Welche Maßnahmen sind noch sinnvoll?

    "Es ist ja eine Grundimmunität in der Bevölkerung gegeben, die einen Großteil der Menschen vor schwerer Erkrankung und Tod sehr gut schützt", erklärt Schmidt-Chanasit. Das heiße nicht, dass es gar keine Todesfälle mehr geben wird - "aber wir müssen mit dem Coronavirus leben", so der Virologe. Daher sei es wichtiger, zielgerichtet zu agieren: "Zum Beispiel Booster für Risikopatienten, Impfungen gegen Influenza - pauschal von Weihnachtsfeiern abraten, hilft nicht weiter."
    Maske in Bus und Bahn zu tragen, wie von Lauterbach gefordert, hält Schmidt-Chanasit dagegen dann für sinnvoll, wenn man selbst z.B. Corona oder Symptome wie Husten oder Schnupfen hat: "Masken können Tröpfchen aufhalten, das dient dann dem Schutz anderer."
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    Gibt es eine "Immunschuld" als Folge der Corona-Schutzmaßnahmen?

    Manche behaupten, vor allem die Corona-Schutzmaßnahmen während der Zeit der Pandemie seien die Ursache für die vielen Krankheitsfälle - sie hätten den Immunsystemen der Menschen geschadet, weil ein regelmäßiges Training mit Krankheitserregern gefehlt habe. Dadurch sei eine "Immunschuld" aufgebaut worden. Aber das stimmt so nicht:
    "Die Maßnahmen haben dem Immunsystem nicht geschadet - aber die fehlende Exposition gegenüber bestimmten Infektionserregern hat dazu geführt, dass die Bevölkerung gegenüber diesen Erregern empfänglicher geworden ist", erklärt Schmidt-Chanasit. Dass sich die Menschen jetzt wieder vermehrt anstecken, ist also kein Zeichen für ein schwächeres Immunsystem, sondern schlicht ein Nachholeffekt:
    Eine Zeit lang sei es aufgrund der Maßnahmen und auch durch ein verändertes Verhalten großer Teile der Bevölkerung zu weniger Erkrankungen gekommen, so Schmidt-Chanasit - das sei sozusagen "nachgeholt" worden. "Und das pendelt sich dann wieder ein auf ein Niveau wie vor der Pandemie."

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