Längere AKW-Laufzeiten:Ja zu Atomkraft - neun Grüne machen nicht mit
von Kristina Hofmann
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Die einen wollten mehr, die anderen am liebsten weniger: Am Ende ging die AKW-Laufzeitverlängerung durch den Bundestag. Doch Jürgen Trittin schied aus dem Ampel-Frieden aus.
Welches Atomkraftwerk soll wie lange laufen? Diese umstrittene Frage hat heute der Bundestag geklärt. Die verbleibenden AKW dürfen dreieinhalb Monate länger in Betrieb bleiben. 11.11.2022 | 1:49 min
Am Ende war es eindeutig: 375 Ja- zu 216 Nein-Stimmen: Die Ampel-Parteien haben im Bundestag die Laufzeitverlängerung von drei Atomkraftwerken bis Mitte April 2023 beschlossen. Auch die Grünen, allerdings nicht alle in der Fraktion. Neun grüne Abgeordnete stimmten dagegen, darunter Parteiurgestein Jürgen Trittin.
Wie tief die Gräben zwischen Regierung und Opposition sind, wie viele Knoten im Bauch es bei der Zustimmung gab, all das machte die lange Debatte vor der Abstimmung deutlich. Gelacht wurde auch, aber eher aus Häme.
Klöckner sorgt für Lacher
Dabei hatte die lautesten Lacher Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) auf ihrer Seite. Sie könne ja verstehen, dass sich die Grünen besonders damit schwertun, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern, sagte sie. "Aber dass Sie Ihre Schmerzen und Windungen abarbeiten an einer Opposition, die mit Fakten argumentiert und nicht mit Ideologie …". Beim Wort Fakten hielt es einige bei den Grünen kaum mehr auf dem Stuhl.
Als sie Ex-Kanzlerin Angela Merkel dafür dankte, dass heute die Hälfte des Energieverbrauchs durch Erneuerbare produziert werde, kam Trittin aus dem Schenkelklopfen kaum heraus. Was Klöckner wiederum kommentierte mit: "Ich weiß, dass Fakten wehtun."
Grüne erinnern Kanzler an dessen Wort
Inhaltlich kamen sich die Parteien kaum näher. Die Ampel-Fraktionen stimmten für die Verlängerung der drei Werke Neckarwestheim, Isar 2 und Emsland bis Mitte April 2023. Harald Ebner von den Grünen sprach von einer "schweren Entscheidung". Atomkraft sei keine Lösung, jeder Tag sei einer zu viel, "sicher ist nur das Risiko".
Keine neuen Brennelemente, kein neuer Atommüll, das seien Argumente, so Ebner. Und man wolle Kanzler Olaf Scholz (SPD) an dessen Wort erinnern: "Am 15. April ist Schluss."
Die Bundesregierung will Atomkraftwerke wegen der Energiekrise länger laufen lassen. Heute entscheidet der Bundesrat. Wichtige Fragen und Antworten zur AKW-Laufzeitverlängerung.
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FAQ
FDP hält sich zurück: Frage der Vernunft
Kanzler Scholz hatte dies nach seinem sogenannten Machtwort versprochen, nachdem wochenlang innerhalb der Ampel-Regierung um die Laufzeitverlängerung gestritten worden war. Die SPD-Fraktion stellte sich am Freitag an Scholz' Seite: "155 Mal werden wir noch wach", so Carsten Träger. Dann sei der 15. April, ein Samstag, dann wolle er mit seiner Familie Sekt trinken und das Ende der Atomkraft feiern. Die Verlängerung aber müsse nun sei:
Die FDP hielt sich in der Debatte eher zurück. Für die Liberalen sei der "Weg nicht einfach", so Carina Konrad. Nun sei es eine "Frage der Vernunft". Die FDP hatte für eine Verlängerung der Laufzeit bis Ende 2024 innerhalb der Koalition gestritten. Also genau um das, was die Union wollte und auch zur namentlichen Abstimmung im Bundestag stellte. Der Antrag bekam zwar keine Mehrheit, aber 48 Stimmen mehr, als die Union Sitze hat - alle zusätzlichen von der AfD.
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Hauptargument der Union für noch längere Laufzeiten der Atomkraftwerke: Nur bis Mitte April Strom aus Atomkraft zu produzieren, "bringt zu wenig", so Steffen Bilger (CDU). Weder für die Energiesicherheit, den Preis oder den europäischen Energiemarkt.
Ähnlich sah das die AfD: Der Streckbetrieb "bringt uns keinen Meter weiter", so Thomas Erhorn. Selbst "dem Dümmsten sollte klar sein", dass die Situation im übernächsten Winter noch schlimmer werde, dann seien die Atomkraftwerke aber abgeschaltet.
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Ralph Lenkert (Linke) argumentierte vor allem mit dem Sicherheitsaspekt. An dem Super-Gau in Tschernobyl habe man gesehen, dass menschliches Versagen immer möglich sei. An Fukushima, dass die Atomtechnik durch Naturkatastrophen gefährdet sei. Die Strompreise explodierten nicht wegen des Kriegs gegen die Ukraine, sondern weil der Markt nicht kontrolliert werde.
Bundesrat vermutlich ohne Blockade
Bis April scheinen die Argumente nun ausgetauscht. Der Protest vor dem Reichstag gegen die Laufzeitverlängerung war eher überschaubar. Die Reihen im Bundestag nicht prall gefüllt. Der Bundeskanzler war bei der Debatte nicht dabei, auch nicht FDP-Chef Lindner. Beide warfen aber danach ihre Stimmkarten in die Wahlurnen.
Nun muss Ende November der Bundesrat noch zustimmen. Momentan wird nicht damit gerechnet, dass die Länderkammer das Atomgesetz blockiert - obwohl sich schwarz-grüne Landesregierungen wegen gegensätzlichen Meinungen eigentlich enthalten müssten.
Isar 2: Laut der Bundesregierung kann der Meiler mit den vorhandenen Brennstäben noch "bis voraussichtlich Anfang März 2023" laufen. "Dabei können zwischen anfänglich etwa 95 Prozent der elektrischen Nennleistung bis etwa 50 Prozent der elektrischen Nennleistung zum Ende bereitgestellt werden", heißt es im Gesetzentwurf. Insgesamt würden im neuen Jahr rund zwei Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 wurden laut Bundesnetzagentur in Deutschland rund 504 TWh Strom verbraucht.
Neckarwestheim 2: Das Kraftwerk in Baden-Württemberg kann laut dem Gesetzentwurf zum Jahresende heruntergefahren werden, "um im Anschluss den Reaktorkern zu rekonfigurieren". Das Prozedere dauert demnach etwa zwei bis drei Wochen. "Im Anschluss an diesen Stillstand kann das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 wieder hochgefahren und bis zum 15. April 2023 betrieben werden." Dabei könnten anfänglich etwa 70 Prozent der elektrischen Nennleistung geliefert werden. Der Wert sinkt anschließend auf "etwa 55 Prozent".
Emsland: Auch in der Anlage in Niedersachsen sind Arbeiten nötig, um eine längere Laufzeit als bisher geplant zu ermöglichen. Das Kraftwerk "muss voraussichtlich Ende Januar 2023 für etwa zwei Wochen heruntergefahren werden, um die Brennelemente im Kern zu rekonfigurieren", heißt es im Gesetzentwurf. "Anschließend kann die Anlage bis zum 15. April ihren Leistungsbetrieb fortsetzen. Dabei nehme die Leistung "sukzessive ab". Insgesamt könnten 2023 noch etwa 1,7 TWh Strom erzeugt werden.
Kritiker der Laufzeitverlängerung hatten während des Koalitionsstreits über den AKW-Weiterbetrieb darauf hingewiesen, dass die Anlagen wegen des zum Jahreswechsel erwarteten Atomausstiegs schon länger als eigentlich üblich nicht mehr im großen Stil auf Sicherheitsrisiken überprüft wurden.
Dabei geht es um die sogenannte periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ), die besonders umfangreich ist und eigentlich alle zehn Jahre erfolgen muss. Für die drei Kraftwerke erfolgte die letzte PSÜ aber schon 2009.
"Mit Blick auf den äußerst kurzen Zeitraum des Weiterbetriebs von wenigen Monaten ist zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von der Durchführung einer periodischen Sicherheitsüberprüfung - als Ergänzung zur fortlaufenden aufsichtlichen Überprüfung - abzusehen", heißt es nun im Gesetzentwurf. Es wäre "unmöglich", eine PSÜ vorzunehmen und mögliche Erkenntnisse daraus noch zu berücksichtigen. Jedoch sei "die Sicherheit der Anlagen fortlaufend durch eine umfassende staatliche Aufsicht auf Grund des geltenden Rechts auf einem hohen Niveau sichergestellt".
Auch die für die Atomaufsicht zuständige Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte zuvor betont: "Atomenergie ist und bleibt gefährlich."