Correctiv-Recherche zu Geheimtreffen: Bilanz nach drei Monaten

    FAQ

    Nach Correctiv-Enthüllungen:Was vom rechten Geheimtreffen bleibt

    von M. Leidinger, A. Jeske, J. Nieskes
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    "Geheimplan gegen Deutschland": Im Winter haben AfD-Politiker an einem Treffen mit Rechtsextremen teilgenommen. Was hat die Enthüllung ausgelöst? Eine Bilanz.

    Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker an einem geheimen Treffen teilgenommen haben sollen, aufgenommen am 12.01.2024
    Correctiv-Recherche: Hier haben sich Unternehmer, AfD-Politiker und Rechtsextreme getroffen. (Archivfoto)
    Quelle: epa

    Am 10. Januar 2024 veröffentlichte das Medienhaus Correctiv eine brisante Story: AfD-Politiker, Rechtsextremisten und Unternehmer hatten im November 2023 in der Nähe von Potsdam an einem Geheimtreffen teilgenommen. Ein "Masterplan" für die massenhafte Abschiebung aus Deutschland - auch von deutschen Staatsbürgern - soll besprochen worden sein.
    Was ist seitdem in Deutschland geschehen? Drei Monate nach der Correctiv-Enthüllung - ein Überblick.

    Welche politischen Konsequenzen hatte die Enthüllung?

    AfD-Chefin Alice Weidel beendete die Zusammenarbeit mit ihrem persönlichen Referenten Roland Hartwig bereits wenige Tage nach der Correctiv-Enthüllung. Hartwig hatte an dem Potsdamer Treffen teilgenommen. Ebenfalls anwesend: Der AfD-Politiker Ulrich Siegmund. Er wurde in Sachsen-Anhalt als Ausschussvorsitzender abgewählt.
    Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker an einem geheimen Treffen teilgenommen haben sollen, aufgenommen am 12.01.2024
    Für ein Mitglied der CDU Potsdam hat das Geheimtreffen Konsequenzen.13.02.2024 | 1:25 min
    Auch die CDU zog Konsequenzen: Die Partei brachte ein Ausschlussverfahren gegen CDU-Mitglied Wilhelm Wilderink auf den Weg. Er ist der Inhaber der Potsdamer Villa, in der das Geheimtreffen stattgefunden hat.
    AfD-Politiker, Rechtsextreme: Bei dem Geheimtreffen in Brandenburg haben sich mehrere Menschen über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland ausgetauscht - darunter der Organisator Gernot Möring, der Ideengeber Martin Sellner, die AfD-Vertreter Roland Hartwig, Ulrich Siegmund, Gerrit Huy und Tim Krause sowie Simone Baum und Michaela Schneider von der Werteunion, Silke Schröder vom Verein Deutscher Sprache und Ulrich Vosgerau, ehemaliges Kuratoriumsmitglied der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.
    Beim Verein Deutsche Sprache (VDS) trat Vorstandsmitglied Silke Schröder zurück. Sie soll zudem ihre Mitgliedschaft gekündigt haben. Der VDS hatte sich zuvor von Schröders Teilnahme am Potsdamer Treffen distanziert.

    Welche außenpolitischen Konsequenzen gab es?

    Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen distanzierte sich deutlich von der AfD und drohte mit einem Ende der gemeinsamen Fraktion im EU-Parlament. Auch ein Treffen mit Alice Weidel in Paris sowie ein Brief Weidels zum Gebrauch des Begriffs "Remigration" überzeugte Le Pen nicht. "Da bleiben viele Fragen ungeklärt", sagte sie Ende Februar über das Dokument.
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    Welche gesellschaftlichen Folgen hatte die Enthüllung?

    Die Recherche von Correctiv schlug in Deutschland hohe Wellen. Nicht nur Politiker, auch Prominente forderten ein Partei-Verbot der AfD. Eine Initiative sammelte mehr als 800.000 Unterschriften für die Prüfung eines Verbotsverfahrens.
    Zudem lud das Leitungsduo der Berlinale fünf zuvor zur Eröffnungsgala eingeladene AfD-Politikerinnen und -Politiker wieder aus. Es soll im Vorhinein zahlreiche Beschwerden gegen die Einladung gegeben haben.
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    Außerdem protestierten Hunderttausende Menschen wochenlang gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. Allein in München waren am 21. Januar laut Polizei 100.000 auf den Straßen, in Berlin waren es Anfang Februar nach Angaben der Behörden rund 150.000 Menschen.
    Auch in vielen anderen größeren und kleineren Städten gingen Zehntausende auf die Straße. Sie riefen "Nie wieder ist jetzt" oder hielten Banner mit "Aufstehen für die Demokratie" in die Höhe.
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    Tausende demonstrierten in Berlin, aber auch in kleineren Städten wurde protestiert.04.02.2024 | 2:32 min
    Drei Monate nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherche sind die Proteste größtenteils abgeflaut. "Es sind keine Demonstrationen, die ganz klare politische Forderungen, beispielsweise an die Bundesregierung hatten", erklärt Protestforscher Sebastian Koos den Rückgang der Proteste gegenüber ZDFheute. Anders als bei Demonstrationen anderer Bewegungen sei es bei den Protesten gegen Rechtsextremismus vor allem um eine "symbolische Wirkung" gegangen.

    Da ging es darum, dass möglichst viele Menschen auf die Straße gehen, möglichst viele Menschen Gesicht zeigen - und das hat funktioniert.

    Sebastian Koos, Protestforscher

    Durch die Proteste ist ein "latentes Mobilisierungspotenzial" entstanden, erklärt Koos. Es hätten sich neue Initiativen gebildet, sagt er. Zudem sei die Bereitschaft zu weiteren Demonstrationen da - zum Beispiel, "wenn wieder etwas passiert, wenn es zu rechtsextremen Übergriffen kommt, wenn es zu rechtsextremen Äußerungen bestimmter Parteien oder Mitgliedern von Parteien kommt", so der Protestforscher.

    Nach der Correctiv-Enthüllung hatte das Thema Rechtsextremismus im ZDF-Politbarometer (02.02.2024) stark an Bedeutung gewonnen. Bei der offenen Frage nach den wichtigsten Problemen in Deutschland nannten 20 Prozent das Thema "AfD/Rechte". Es lag damit auf Platz zwei, knapp hinter "Asyl/Zuwanderung/Integration". Im Januar wurde das Thema "AfD/Rechte" nur von sechs Prozent der Befragten als dringlichstes Thema genannt.

    Bereits in den nachfolgenden ZDF-Politbarometer-Auswertungen verlor das Thema aber wieder an Bedeutung. Im Politbarometer vom 22.03.2024 belegte das Thema mit zehn Prozent Platz sieben.

    Informationen zur Methodik der Umfrage und zu den genauen Frageformulierungen finden Sie auch auf www.forschungsgruppe.de.

    Welche juristischen Konsequenzen hatte die Recherche?

    Den Kern der Correctiv-Recherche haben die Teilnehmer des Potsdamer Geheimtreffens vor Gericht nicht angegriffen. Die zentralen Rechercheergebnisse stehen.
    Geklagt hatten der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau und der Unternehmer Klaus Nordmann nur gegen einzelne Passagen, die sie persönlich betrafen. Überwiegend scheiterten sie damit. Wenn ein Unternehmer wie Nordmann der AfD 50.000 Euro spendet, darf er als Großspender bezeichnet werden, so das Oberlandesgericht Hamburg zum Antrag des Mittelständlers, die Bezeichnung zu unterlassen. Und: Weil die Öffentlichkeit ein Interesse daran habe, von wem Großspenden kommen, darf Correctiv auch Nordmanns Namen nennen.
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    Dominanz auf TikTok: "AfD setzt auf schlichte Propaganda", so Politikwissenschaftler Marcus Bösch. 12.03.2024 | 12:41 min
    Der zweite Kläger, der Jurist Ulrich Vosgerau, verlor ebenfalls größtenteils. Vosgerau hatte auf dem Potsdamer Treffen einen spontanen Vortrag über das Wahlrecht gehalten. Es ging unter anderem um die Idee, für künftige Wahlen ein Musterschreiben aufzusetzen, mit dem Wahlen angezweifelt werden können. Das darf Correctiv weiter berichten. Recht bekam Vosgerau nur in einem Detail: Correctiv darf daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, Vosgerau gehe davon aus, je mehr Leute eine Wahl anzweifelten, desto höher sei die Erfolgschance.
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    Praktische Konsequenzen hat die Correctiv-Recherche für den ehemaligen Chef der "Identitären Bewegung" Martin Sellner. Die Ausländerbehörde Potsdam verhängte ein Einreiseverbot für den Österreicher, welches für ganz Deutschland gilt. Danach macht Sellner sich strafbar, wenn er dennoch einreist. Sellner geht dagegen juristisch per Eilantrag vor - deswegen ist das Einreiseverbot bis zur Entscheidung ausgesetzt.

    Wie hat die AfD auf die Correctiv-Enthüllung reagiert?

    Am Tag der Enthüllung sagte ein Sprecher von Parteichefin Alice Weidel zu ZDFheute: "Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist und die vollständig im Einklang mit dem Grundgesetz steht, nicht abändern."
    Gleichzeitig äußerten sich AfD-Funktionäre ganz anders. Der sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und AfD-Landesvorsitzende in Brandenburg, René Springer, schrieb beispielsweise bei X:

    Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.

    René Springer, AfD-Bundestagsabgeordneter bei X

    AfD-Co-Chef Tino Chrupalla rief die Mitglieder seiner Partei Anfang Februar zur Mäßigung auf. Im Deutschlandfunk sagte er, er erwarte, "dass unsere Parteifreunde und auch unsere Wähler sich davon nicht provozieren lassen". Chrupalla sprach damit die zahlreichen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus in Deutschland an. Diese nannte er ein Ablenkungsmanöver der Regierung. Er beklagte, dass es bei den Demonstrationen Aufrufe zu Gewalt gegen seine Partei gegeben habe.
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    frontal über die völkischen Pläne der AfD23.01.2024 | 6:50 min
    Nach eigenen Angaben hat die Berichterstattung über das Potsdamer Treffen der AfD allerdings nicht geschadet. Zwischen dem 10. Januar und dem 22. Januar seien etwa 1.400 Aufnahmeanträge neu eingegangen, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Im gleichen Zeitraum habe es Austritte "im mittleren zweistelligen Bereich" gegeben.

    Grafik zum Ergebnis der aktuellen Sonntagsfrage.
    Quelle: ZDF

    Ende 2023 und noch im Januar 2024 lag die AfD in der ZDF-Politbarometer-Projektion "Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre ..." bei 22 Prozent. Im Februar und im März 2024 kam sie nur noch auf 19 beziehungsweise 18 Prozent. Es gab nach Bekanntwerden des Geheimtreffens also einen Rückgang. Ob dieser Rückgang mit den Correctiv-Enthüllungen in Zusammenhang liegt, lässt sich nur vermuten.

    Bildquelle: Sonntagsfrage des ZDF-Politbarometers vom 22.03.2024

    Informationen zur Methodik der Umfrage und zu den genauen Frageformulierungen finden Sie auch auf 
    www.forschungsgruppe.de.

    Was sagt Correctiv drei Monate nach der Recherche?

    Die Auswirkungen der Recherche und die daraus entstandenen Debatten haben die Correctiv-Redaktion "nachhaltig überwältigt", sagt Chefredakteur Justus von Daniels im Gespräch mit ZDFheute. "Wir haben mit einer politischen Debatte gerechnet, auch mit politischen Folgen", erklärt er.

    Aber dass da auf einmal Tausende Menschen auf die Straßen gehen - und am Ende waren es ja Millionen - das ist ziemlich einmalig. Damit haben wir absolut nicht gerechnet.

    Justus von Daniels, Chefredakteur von Correctiv

    "Correctiv"-Enthüllung als szenische Lesung
    Die Correctiv-Recherche wird als szenische Lesung inszeniert.18.01.2024 | 2:46 min
    "Wir haben aber auch gelernt, wie wir mit den verschiedenen Arten von Anfeindungen umgehen", berichtet Von Daniels. In erster Linie habe es Anfeindungen in den sozialen Medien gegeben. Von Daniels spricht von "Hass-Trollen", sagt aber auch:

    Ich fand es schon bedenklich, dass gerade aus dem Umfeld der AfD Posts veröffentlicht wurden, die verklausulierte Drohungen ausgesprochen haben.

    Justus von Daniels, Chefredakteur von Correctiv

    Justus von Daniels | Chefredakteur CORRECTIV
    Justus von Daniels beantwortet im ZDF-Morgenmagazin Fragen rund um Kritik an der Correctiv-Recherche.07.02.2024 | 8:48 min
    Die Redaktion habe bereits vor Veröffentlichung der Recherche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, diese aber nach Enthüllung des Geheimtreffens überprüfen beziehungsweise verschärfen müssen.

    Wie geht es weiter?

    Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte spricht im ZDFheute-Interview von einem "politischen Signalereignis mit weitreichender Wirkung". In der Gesellschaft gebe es angestoßen durch die Correctiv-Recherche eine "neue Bewegtheit". Nicht nur einzelne Personen, auch Firmen, Banken und sogar katholische Bischöfe würden nun politische Haltung zeigen und sich politisch positionieren, sagt er. "Das hat es nie zuvor gegeben."
    Und was bleibt davon, nachdem die Proteste wieder abgenommen haben? Korte sagt:

    Es bleibt das Bewusstsein, dass 'andere genauso denken wie ich'. Es bleibt das Bewusstsein und der Stolz auf das Grundgesetz. Es bleibt die Erkenntnis: Die Mitte ist stark.

    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler

    Und Correctiv? "Wir haben nach der Veröffentlichung viele weitere Hinweise bekommen", berichtet Justus von Daniels. Diese Hinweise würden "Beteiligte betreffen und das Umfeld".

    Die greifen wir natürlich auf und recherchieren auch weiter.

    Justus von Daniels, Chefredakteur von Correctiv

    Trotz Verurteilung im Amt
    :Correctiv: Elf AfD-Mandatsträger Gewalttäter

    Gewalttaten, Volksverhetzung, Waffenbesitz: Correctiv-Recherchen zufolge sollen mindestens elf AfD-Mandatsträger verurteilte Gewalttäter sein. Gegen weitere werde ermittelt.
    Ein Wahlplakat der AfD in Berlin
    mit Video
    Quelle: mit Material von AFP und dpa

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