Netanjahus Macht in Israel wankt

    Angeschlagener Ministerpräsident:Netanjahus Macht in Israel wankt

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    Politischer Druck von innen und außen, dazu Kämpfe in Gaza mit vielen Opfern und dann noch Geiseln, die ihrem Schicksal überlassen sind. Benjamin Netanjahu scheint angezählt.

    Benjamin Netanjahu am 14.02.2024 in Jerusalem.
    Benjamin Netanjahu verliert immer mehr Rückhalt in der israelischen Bevölkerung.
    Quelle: picture alliance / photothek

    "Es ist vorbei für Bibi", ist sich der Politologe Emmanuel Navon sicher. In seinen drei Jahrzehnten an der Macht wurde die politische Karriere des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu schon oft für beendet erklärt. Doch nun scheinen die Tage für "Bibi", wie er in Israel allgemein genannt wird, tatsächlich gezählt.
    Täglich demonstrieren Tausende Menschen in Israel gegen Netanjahus Kriegsführung im Gazastreifen. Der derzeit in Umfragen führende Oppositionspolitiker Benny Gantz fordert mittlerweile offen vorgezogene Neuwahlen. Für die Parlamentswahl müsse "einvernehmlich" ein Datum im September festgelegt werden.
    Gantz habe Netanjahu, dessen nationale Einheitsregierung der beliebte Oppositionspolitiker nach dem beispiellosen Hamas-Angriff 7. Oktober beigetreten war, über die Absichten seiner Partei informiert.
    Daniel Gerlach | Nahost-Experte
    Die Bevölkerung in Israel verlangt, "dass Netanjahu das Thema Geiseln priorisiert", so Nahost-Experte Daniel Gerlach. Die beiden Ziele, "die Geiseln zu befreien und die Hamas zu vernichten", seien jedoch nicht komplementär.02.04.2024 | 6:19 min

    Kritik an der Kriegsführung im Gaza-Streifen

    Auch die internationale Kritik an Netanjahus Kriegsführung wird immer lauter. Nach dem Tod von sieben Mitarbeitern einer humanitären Hilfsorganisation bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen am Montag sprach UN-Generalsekretär António Guterres von einem "skrupellosen" Angriff und einer "unvermeidlichen Folge der Art und Weise, in der dieser Krieg geführt wird". 
    Netanjahu hingegen ließ kein Mitgefühl erkennen. Den Tod der Helfer kommentierte er mit den Worten:

    So etwas passiert im Krieg.

    Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel

    Der Krieg zwischen Israel und der Hamas war durch deren brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1.160 Menschen getötet sowie rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, inzwischen rund 33.000 Menschen getötet.
    Elmar Thevessen und Michael Bewerunge über die wachsende Kritik an Israel.
    Nach dem Tod von sieben Mitarbeitern einer Hilfsorganisation im Gazastreifen wächst international die Kritik an Israel. Elmar Theveßen und Michael Bewerunge berichten.03.04.2024 | 2:32 min

    Nur noch vier Prozent der Israelis vertrauen Netanjahu

    "Netanjahu ist schon oft politisch zu Grabe getragen worden und hat sich wieder aufgerappelt", sagt der Politikwissenschaftler Navon, einst selbst Mitglied in Netanjahus Likud-Partei.

    Aber dieses Mal ist es wegen des 7. Oktober anders. Es ist nicht mehr dasselbe Land.

    Emmanuel Navon, Politologe

    Nur noch vier Prozent der Israelis vertrauen ihrem Regierungschef, wie eine Umfrage Ende vergangenen Jahres ergab. Der einst kraftstrotzende Netanjahu ist nicht nur politisch, sondern auch körperlich angeschlagen. "Er ist 74 Jahre alt, treibt keinen Sport, hat einen sehr schweren Job und hat sich vor sechs Monaten einen Herzschrittmacher einsetzen lassen", bilanziert Navon.

    Angehörige der Geiseln üben scharfe Kritik

    Bei einer Fernsehansprache am Samstag wirkte Netanjahu gebrechlich, blass und zerstreut. Selbst seine ehemalige Ministerin und Parteifreundin Limor Livnat nannte den Auftritt "katastrophal". Der Regierungschef sehe aus "wie ein verängstigter Tyrann", schrieb die linke Tageszeitung Haaretz.
    Israel, Tel Aviv: Angehörige und Unterstützer der israelischen Geiseln, die im Gazastreifen von der islamistische Hamas festgehalten werden, blockieren eine Straße während einer Kundgebung, bei der ihre Freilassung gefordert wird. Sie protestieren auch gegen die Regierung von Netanjahu, Ministerpräsident von Israel.
    Tausende Israelis haben in Tel Aviv gegen ihren Ministerpräsidenten Netanjahu protestiert. Sie fordern Neuwahlen, da Netanjahu zu wenig für die Freilassung der Hamas-Geiseln tue.31.03.2024 | 1:49 min
    Zu den schärfsten Kritikern des Regierungschefs zählen die Familien der 134 Geiseln, die die radikale Palästinenserorganisation noch immer im Gazastreifen gefangen hält. Es war bereits die vierte Protestnacht in Folge. Dabei schlossen sich die Angehörigen der Geiseln mit regierungskritischen Demonstranten zusammen, die im vergangenen Jahr neun Monate lang auf die Straße gegangen waren, um die umstrittene Justizreform zu verhindern.

    Protest gegen Netanjahu: "Sie sind der Verräter"

    Trotz der wachsenden Wut über den Regierungschef hält seine Partei bisher an Netanjahu fest. Navon vergleicht Netanjahus Einfluss auf den Likud mit dem von Ex-US-Präsident Donald Trump auf die Republikaner.
    Nur mit ihm sei das Land sicher, hatte Netanjahu die Israelis glauben gemacht - ein Versprechen, das sich am 7. Oktober als hohl erwies. So wirft die Geisel-Angehörige Zangauker Netanjahu bei der Demonstration am Dienstagabend vor:

    Sie haben die Hamas genährt und großgemacht.

    Einav Zangauker, Mutter einer Geisel

    Mit den Worten erntet sie tosenden Applaus. Und weiter: "Es ist alles Ihre Schuld, Sie sind der Verräter."

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
    Liveblog
    Quelle: Fiachra Gibbons und Benoit Finck, AFP

    Aktuelle Nachrichten zum Nahost-Konflikt