Analyse
US-Präsident frustriert:Warum Bidens Kritik an Israel schärfer wird
von Claudia Bates, Washington
US-Präsident Biden verfolgt einen riskanten Kurs im Nahost-Konflikt und droht selbst Unterstützung zu verlieren. Jetzt distanziert er sich von Israels Regierungschef Netanjahu.
Parteistrategen blicken besorgt auf seinen bisherigen Israel-Kurs: US-Präsident Biden
Quelle: AP
Diese Anekdote erzählt US-Präsident
Joe Biden immer wieder gerne: Wie er einst Benjamin Netanjahu ein Foto überreichte und darauf schrieb "Ich liebe Dich, aber ich stimme mit verdammt nochmal gar nichts überein, was Du sagst". Etwa so sei es auch heute, so Biden. Seit Jahrzehnten kennen die beiden sich und einfach war es noch nie.
Ein gemeinsames Telefongespräch legte nun die Brüche offen. Israels Regierungschef Netanjahu sagte danach öffentlich, dass es Meinungsverschiedenheiten gebe, dass er die amerikanische Vision für die Zeit nach dem
Krieg in Gaza rundheraus ablehne. Die palästinensische Autonomiebehörde werde keine Rolle spielen. Die Biden-Regierung hatte Israel bedeutet, dass die Autonomiebehörde Gaza regieren solle, wenn der Krieg vorbei wäre.
In den USA bröckelt die uneingeschränkte Unterstützung für Israel. Forderungen nach sogenannten humanitären Pausen werden laut – auch aus der Partei von US-Präsident Biden.02.11.2023 | 2:53 min
Biden verleiht Unmut Ausdruck
Nach Wochen scheinbar unverbrüchlicher Solidarität brachte Netanjahus Reaktion bei Biden das Fass zum Überlaufen. Die konservativste Regierung in der Geschichte Israels wolle nichts, was auch nur annähernd einer Zweistaatenlösung nahekäme, polterte er. Israel verliere die internationale Unterstützung mit seinen wahllosen Bombardements. Netanjahu müsse seine Haltung zur Zweistaatenlösung ändern.
So deutlich hatte Biden, der engste Verbündete Israels, ein überzeugter Zionist, seinem Unmut noch nie Ausdruck verliehen. Seit den
Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober stellte sich Biden demonstrativ hinter Israel. Hat dessen Recht auf Selbstverteidigung ebenso betont wie das Ziel, die Hamas auszuschalten. Hat bei den Vereinten Nationen eine Resolution, die eine
Waffenruhe forderte, mit einem Veto verhindert und stand damit selbst völlig isoliert da. Hat Israel weiter bedingungslos Waffen geliefert. Alles in der Überzeugung, dass solche laute Unterstützung in der Folge leise Kritik und Einflussnahme ermögliche.
Laut Ministerpräsident Netanjahu will Israel nach Kriegsende für unbestimmte Zeit die Kontrolle über die Sicherheit Gazas behalten. Welche Folgen hat das? ZDFheute live ordnet ein.07.11.2023 | 35:09 min
Bidens Appelle verhallen bei Netanjahu
So hat Biden Netanjahu Zugeständnisse abringen können, als es um einen Deal zur Freilassung von Geiseln ging, als es um humanitäre Hilfe für Gaza ging. Aber andere der vielen Aufforderungen der US-Regierung zu Mäßigung hat Netanjahu ignoriert.
In mehreren Gesprächen bat Biden den israelischen Premier,
zivile Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden, chirurgischer vorzugehen. Ohne Erfolg. Bat ihn um eine überzeugende Strategie für danach. Fehlanzeige. Dass Israel nach dem Krieg militärisch die Kontrolle über Gaza behält, kommt für Biden nicht in Frage.
Der US-Senat blockiert ein 110-Milliarden Dollar schweres Hilfspaket für Israel und die Ukraine.07.12.2023 | 0:21 min
Kritik an Bidens Kurs
Die öffentliche Meinung hat sich geändert. Zur Überraschung der US-Regierung zeigte sich nach dem grauenvollen Überfall der Hamas viel Solidarität mit den Palästinensern. Auf den Straßen, in den Universitäten, auch im eigenen Land. Je mehr der US-Präsident die bedingungslose Solidarität mit Israel betonte, desto wütender wurden die arabischstämmigen Amerikaner, traditionell Wähler von Bidens Demokratischer Partei.
Sie sind frustriert, dass Biden sich nicht für eine Waffenruhe eingesetzt hat. Inzwischen gibt es bei Parteistrategen die Sorge, dass Biden durch seine Israel-Politik Wähler verliert in einer Wahl, bei der es für
Amerika um die Zukunft der Demokratie und des Rechtsstaats geht und die nach jetziger Einschätzung knapp ausfallen könnte.
Nach Antisemitismusvorwürfen an US-Eliteunis müssen sich die Präsidentinnen einer Befragung im Kongress stellen. Die Vorfälle räumen sie ein - antisemitische und auch islamophobe.06.12.2023 | 1:41 min
Nahost-Konflikt wird Chancen auf zweite Amtszeit prägen
Joe Biden steht vor erheblichen diplomatischen Herausforderungen. Er will die Region vereinen, will die Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern normalisieren. Gleichzeitig muss er die abschrecken, die dem entgegenstehen:
Iran und Iran-treue Terrormilizen. Er muss eine Ausweitung des Krieges verhindern und eine tragfähige Lösung vermitteln.
All das, nachdem seine Regierung zuvor der Fehleinschätzung unterlag, der Nahe Osten sei so ruhig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Jetzt ist klar, der Nahost-Konflikt wird den Rest seiner ersten Amtszeit mitprägen - und seine Chancen auf eine zweite.
Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel gleicht die Region einem Pulverfass. Ein Frieden scheint weit weg. Alles zum Nahost-Konflikt hier im Ticker.