Regierungssprecher Steffen Hebestreit gehört zum engsten Beraterkreis um den Kanzler. Im ZDFheute-Interview erzählt er von den ersten Tagen nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs.
ZDFheute: Wenn Sie heute, ein Jahr später, zurückblicken auf den 24. Februar 2022. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Hebestreit: Der Tag begann damit, dass wir morgens um 4:30 Uhr durch das Lagezentrum informiert wurden, da waren wir alle noch in den Betten: Der Krieg hat jetzt begonnen. Der Kanzler hat dann übers Handy mit Präsident Selenskyj telefoniert. Um sieben Uhr sind wir ins Kanzleramt. Da haben wir uns in den ersten Runden zusammengesetzt, um die Lage zu analysieren. Faktisch hatten zwar erste Überlegungen schon vor diesem Tag stattgefunden, was ein solcher Schritt bedeuten würde, aber bevor man nicht in einer Situation drin ist, ist es immer schwer, sie wirklich zu erfühlen. Es war dann relativ schnell klar, dass wir eine Fernsehansprache am gleichen Tag machen wollen - und dass es eine Regierungserklärung geben wird.
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ZDFheute: Wie war die Stimmung im Kanzleramt?
Hebestreit: Ja, das ist schwer, im Rückblick zu erfassen. Ich glaube, es war eine Mischung aus dem Gefühl, dass sich nun etwas einstellt, was man schon länger befürchtet hatte und dem Ernst der Situation. Ich erinnere mich sehr an die Blicke im Sicherheitskabinett, die sich die Kabinettsmitglieder zugeworfen haben. Und natürlich auch an die Informationen, die übermittelt worden sind, die sehr, sehr ernst waren.
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.
ZDFheute: Nur neun Tage zuvor war Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch bei Russlands Präsident Wladimir Putin. Wie schauen Sie im Nachhinein auf dieses Treffen?
Hebestreit: Im Gespräch in Moskau wurde deutlich, was ein Wissenschaftler über Putin in der Vorbereitung zu dem Treffen gesagt hat: Man muss ihn wörtlich nehmen.
Der Bundeskanzler hat ihn an einer Stelle gefragt: Kann es mir passieren, wenn ich in mein Flugzeug steige und zurück nach Deutschland fliege, dass ich quasi Ihre aufsteigenden Kampfjets sehe? Diese Frage hat Putin nicht beantwortet. Und das war etwas, was aus diesem Treffen mit nach Deutschland genommen wurde.
Gleichzeitig war es aber auch so, dass es noch einen Rest Hoffnung gegeben hat, dass es nicht zu diesem Konflikt kommen würde. Weil er eben so absurd ist. Ein solcher Schritt, einen Landkrieg im 21. Jahrhundert aufgrund von wie auch immer verqueren historischen Gefühlen zu beginnen, ist eigentlich etwas, was wir überwunden glaubten.
Zum Jahrestag des russischen Angriffskrieges gibt es keine militärischen Gewinne, die Russlands Präsident feiern kann. ZDFheute live über Kritik an Putin im eigenen Land.
ZDFheute: Die Amerikaner hatten diese Hoffnung offensichtlich nicht. Sie haben sehr konkret gewarnt. Wie schauen Sie im Nachhinein auf die Informationslage: Waren die Informationen der Amerikaner sicherer als die der Deutschen?
Hebestreit: Wenn man sich die Ereignisse anschaut, trafen die amerikanischen Informationen auf jeden Fall zu. Allerdings muss man auch sagen: Die Amerikaner haben mehrfach gewarnt, zu verschiedenen Zeitpunkten, die dann nicht eintraten. Wir standen in enger Abstimmung mit den Amerikanern, niemand war naiv oder hat sich was vorgemacht. Und auch die Reisen des Bundeskanzlers nach Kiew und nach Moskau haben in enger Absprache mit dem amerikanischen Präsidenten stattgefunden.
Selbst der ukrainische Präsident hat es noch bei der Münchner Sicherheitskonferenz für wenig wahrscheinlich gehalten, dass sein Land angegriffen wird. Er hatte eher die Sorge, dass es zu einer wirtschaftlichen Destabilisierung der Ukraine kommt, durch die Kriegssorge. Es ging also überall zwischen Bangen und Hoffen hin und her.
ZDFheute: Dieser Umschlag, den Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) laut "Süddeutscher Zeitung" von einem US-Delegationsmitglied am Vorabend des Krieges zugesteckt bekommen hat, mit dem Hinweis: Heute Nacht geht es los - hatten Sie von diesem Umschlag Kenntnis?
Hebestreit: Davon habe ich aus der Zeitung erfahren.
Knapp ein Jahr nach der russischen Invasion spricht Olena Selenska über die Belastungen des Krieges, die Unterstützung aus dem Westen und ihre Hoffnung auf einen Sieg der Ukraine.
ZDFheute: Irgendwann am 25. und 26. Februar wurde dann klar, dass Deutschland Waffen liefern wird an die Ukraine. Bis dahin galt das deutsche Nein als kategorisch. Wie war die Abwägung in dieser Frage?
Hebestreit: In diesem Land gibt es eine Tradition, dass wir keine Waffen in Kriegs- und Krisengebieten in größerem Umfang liefern. So war das über Jahrzehnte - und das stand ab Freitag, dem 25.Februar 2022, stark in Frage. Am Samstag fiel dann im Laufe des Tages die Entscheidung: Man bricht mit diesem Tabu, man geht diesen Schritt, weil alles andere nicht verantwortbar wäre.
Interview- "Krieg hätte verhindert werden können"
Andrij Melnyk war ukrainischer Botschafter in Deutschland, als Putin sein Land angriff. Im ZDFheute-Interview blickt er zurück auf die Tage nach Kriegsausbruch.
ZDFheute: Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sagt - auch im Interview mit uns - der Westen hätte diesen Krieg vielleicht verhindern können, wenn man Putin stärker gedroht, Sanktionen früher auf den Weg gebracht, früher die Ukraine mit Waffen ausgestattet hätte. Sehen Sie das auch so?
Hebestreit:
Ich sehe aber auch nicht, dass Russland sich im Augenblick abschrecken lässt von irgendetwas, obwohl es massive Waffenlieferungen gibt und massive Unterstützung durch uns als westliche Alliierte. Insofern weiß ich nicht, ob man alles richtig gemacht hat - das muss man wahrscheinlich mit größerem Abstand beurteilen. Aber ich glaube: die Hoffnung, die ja immer auch da war, dass Putin von seinem Tun lassen könnte, die war womöglich trügerisch.
Der massive Truppenaufmarsch, den wir beobachten konnten, der ja sich über Monate hingezogen hat, der zeigte an einem bestimmten Moment, dass Putin zumindest alles an Truppen und Material an der Grenze der Ukraine zur Verfügung hatte, um eine Invasion zu wagen. Insofern war das auch immer eine Abwägung. Aber dass es da jetzt mehr Klarheit seitens des Westens hätte geben müssen, damit tue ich mich schwer.
Die ukrainische Regierung will nach Panzern nun Phosphor- und Streubomben sowie Kampfjets aus Deutschland. Geht alles nicht, sagt Boris Pistorius - aus verschiedenen Gründen.
ZDFheute: In den Wochen und Monaten nach seiner Zeitenwende-Rede wurde dem Kanzler immer wieder vorgeworfen, zu zögerlich zu sein, nicht zu kommunizieren. Wurde mit dieser Rede vielleicht auch ein Versprechen gemacht, das in der realpolitischen Situation danach nicht einzulösen war?
Hebestreit: Ich glaube, man muss differenzieren zwischen einer veröffentlichten Meinung, die sehr stark eine vehemente Hilfe für die Ukraine, auch Militärhilfe, gefordert hat und einer Regierung, die bestrebt war, das Land zusammenzuhalten und eine nachhaltige Unterstützung zu generieren.
Wir sind gekommen von: schultergestützten Panzerabwehrwaffen und Luftabwehrwaffen an die Ukraine, die wir kurz nach Kriegsbeginn auf den Weg gebracht haben. Heute, ein Jahr später, reden wir über Kampfpanzer. Und dazwischen gab es kontinuierliche Steigerungen, über Flugabwehrgeschütze, die Panzerhaubitzen 2000, also schwere Artillerie, Flak-Panzer, Mehrfachraketenwerfer und jetzt Schützenpanzer, die auch noch dazukommen, sowie die Leoparden.
Das sind schwierige Abwägungsfragen. Und da ist auch viel - ich möchte fast sagen - Passion auf allen Seiten. Man möchte helfen, man erträgt nicht die Bilder, die Informationen, all das, was man aus diesem schrecklichen Krieg erfährt. Und gleichzeitig muss eine Regierung immer wieder die Folgen des eigenen Handelns bedenken.
ZDFheute: Vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview führte Andrea Maurer, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio
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