Fußball: Wie das Kroos-Comeback die DFB-Elf verändert

Eigentlich hätte es Sandro Wagner nicht zugestanden, über so wichtige Personalien der Nationalelf zu plaudern. Aber der Assistenztrainer von Julian Nagelsmann war nach seiner Karriere nicht umsonst ein viel gefragter Fernsehexperte.

Wagner hält mit seiner Meinung selten hinterm Berg, so auch erst vor knapp einem Monat beim Sportbusinesskongress Spobis in Hamburg, als der 36-Jährige seine Privatmeinung zur Rückkehr von Toni Kroos ausplauderte.

"Ich persönlich fände es schön. Einer der größten Spieler unserer Geschichte. Und er kann ja noch laufen", sagte Wagner damals und grinste. "Wir brauchen jeden guten Mann."

Das war mal ziemlich flapsig daher gesagt, doch es ist anzunehmen, dass im Trainerteam bei der deutschen Nationalmannschaft längst Einigkeit bestand. Nun ist es amtlich, dass Kroos, mittlerweile 34, das Comeback angeht.

Nach dem von Nagelsmann mit viel Lob bedachten Verteidiger Mats Hummels, 34, und der bevorstehenden Eingliederung von Torwart Manuel Neuer, 37, soll also noch ein Weltmeister von 2014 zehn Jahre später bei der Europameisterschaft im eigenen Land eine tragende Rolle bekleiden.

Nagelsmann hatte das Planspiel erstmals im aktuellen sportstudio am 16. Dezember vergangenen Jahres angedeutet, und erstaunlich offenherzig die personellen Konsequenzen aus den verstörenden Darbietungen gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) aus dem November angesprochen.

Mit Kroos, der schon gegen Frankreich in Lyon (23. März) sein 107. Länderspiel bestreiten dürfte, verändert sich die gesamte Statik. Zusätzliche Qualität eines unangefochtenen Leistungsträgers von Real Madrid schadet der Mannschaft gewiss nicht. Die Nummer acht kann ein Spiel lesen und prägen.

Aber er verändert ab sofort auch die Herangehensweise und das Machtgefüge. Denn nun gehen die Rochaden erst richtig los: Toni Kroos und Joshua Kimmich zusammen im defensiven Mittelfeld passen nicht. Dafür sind sich beide in ihren Anlagen zu ähnlich.

Ergo wird der als Führungskraft ohnehin im Verein infrage gestellte Kimmich nach rechts hinten rücken müssen, will er seinen Stammplatz behalten. "Josh ist hinten rechts eine Option", sagte Nagelsmann damals.

Gleichzeitig deutete er an, seinen Kapitän Ilkay Gündogan, 33, offensiver zu postieren. Als einer, der wie gerne bei Manchester City oder jetzt dem FC Barcelona nicht in erster Linie Abfangjäger, sondern Taktgeber spielt - und gerne auch in den Strafraum den Abschluss suchen darf.

Wer dann aber neben Kroos den defensiver Anker gibt? Womöglich Pascal Groß, 32, der merkwürdigerweise in den November-Länderspielen fehlte, obwohl er bei der USA-Reise im Oktober so viele Pluspunkte gesammelt hatte.

Bei den Königlichen aus Madrid ist es Kroos seit jeher gewohnt, dass ihm ein robuster Zweikämpfer die Drecksarbeit abnimmt. Bilden wirklich Kroos-Groß-Gündogan mit zusammen 99 Jahren Lebenserfahrung den zentralen Mannschaftsteil, sind Florian Wirtz und Jamal Musiala in diesem Bereich außen vor?

Nur zur Erinnerung: Als Nagelsmann gegen die USA (3:1) seinen Einstand gab, wirbelten die Jungspunde, beide 20, gemeinsam über den Rasen des Rentschler Field in Hartford. Zwei Zauberfüße, deren Talent unbestritten ist - die nun aber womöglich ihre beste Position durch die veränderte Tektonik und Taktik blockiert sehen. Sie müssen wohl auf eine Außenposition weichen.

Denn Nagelsmann wird kaum den mit der schwarz-rot-goldenen Binde betrauten Gündogan opfern, weil Kroos zurück ist. Das wäre ein fatales Zeichen nach außen. Daraus folgt, dass sich der Bundestrainer, wenn er mit einem Stoßstürmer wie Niclas Füllkrug spielt, zwischen Leroy Sané und Kai Havertz sowie eben Wirtz und Musiala entscheiden muss.

Wenn bei der EM in der Gruppe gegen Schottland am 14. Juni in München, Ungarn am 19. Juni in Stuttgart und die Schweiz am 23. Juni in Frankfurt alles gut geht, kein Problem.

Wenn aber die Ü30-Fraktion aus irgendwelchen Gründen nicht abliefert, könnte es ganz viele Verlierer geben. Aber was rief Wagner auf dem Spobis-Talk aus, welche Schlagzeile er am Tag nach dem EM-Finale lesen möchte? "Julian Nagelsmann: Wir lieben dich!"