Pokalschreck SV Darmstadt 98:Die Lilien und ihr Langzeitplan
von Frank Hellmann
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Torsten Lieberknecht und Carsten Wehlmann haben den SV Darmstadt 98 zu einem Zweitliga-Tabellenführer geformt. Im DFB-Pokal bei Eintracht Frankfurt folgt nun eine Reifeprüfung.
In Runde zwei Borussia Mönchengladbach ausgeschaltet, jetzt der nächste Coup? Die Darmstädter und ihr Trainer Torsten Lieberknecht.
Quelle: Uwe Anspach/dpa
Als Carsten Wehlmann kürzlich zum ersten Mal auf den Proficampus von Eintracht Frankfurt vorfuhr, staunte der Manager des SV Darmstadt 98 nicht schlecht. Das mehrstöckige Gebäude mit Platz für fast 300 Mitarbeiter, das große Foyer mit riesigem Steinadler und vielen Flachbildfernsehern, auf denen die Erfolge der Eintracht von der Deutschen Meisterschaft 1959 bis zum Europa-League-Triumph 2022 in Endlosschleife laufen, hinterließen vermutlich mächtig Eindruck.
Wehlmann: Mit Eintracht nicht vergleichbar
Der 50-Jährige unkte irgendwann, der gesamte Komplex habe wohl ungefähr so viel gekostet wie das gerade im Umbau befindliche Stadion des Darmstädter SV am Böllenfalltor. Und so stellt Wehlmann vor dem Hessenderby im DFB-Pokal-Achtelfinale zwischen Eintracht Frankfurt und SV Darmstadt 98 (Dienstag, 20.45 Uhr/ARD) klar: "Unsere Möglichkeiten sind nicht ansatzweise mit denen in Frankfurt vergleichbar."
Was ja erstmal stimmt: Keine 30 Millionen Euro betrug der Umsatz in der Saison 2020/21, der Personalaufwand lag bei nur 14,2 Millionen. Die Eintracht arbeitet aktuell mit einem fast zehnmal höheren Gesamtbudget.
Gegen Peter Fischer, den Präsidenten der Eintracht Frankfurt, laufen Ermittlungen. Der Vorwurf: unerlaubter Erwerb und Besitz von Kokain.
Bescheidene Darmstädter
Doch wenn es ein Klub vermag, mit Erfolg den wirtschaftlichen Nachteilen zu trotzen, dann der seit 20 Spielen ungeschlagene Zweitliga-Tabellenführer, der in der zweiten Pokal-Runde Borussia Mönchengladbach aus dem Rennen warf. Die Südhessen haben sich zum beständigsten Topteam im Unterhaus entwickelt, gefallen sich in ihrer Rolle als der perfekte Underdog.
"Was den finanziellen Aufwand angeht, stehen wir in der Mitte der zweiten Liga", erklärt Wehlmann: "Deshalb verbietet es sich quasi ein Stück weit von selbst, großspurig Ziele hinauszuposaunen."
Darmstadts Ziel: Bundesliga
Lieber werkelt der ehemaligee Profitorhüter mit bescheidenen Mitteln daran, Darmstadt wieder zu einem Bundesliga-Standort machen. Das Intermezzo 2015 und 2017 in Liga eins kam unter abenteuerlichen Bedingungen zustande, weil der Durchmarsch aus der 3. Liga unter dem derzeit wieder beim 1. FC Kaiserslautern sehr erfolgreich arbeitenden Trainer Dirk Schuster einer Sensation glich.
2018 fing bei den Südhessen der gebürtige Hamburger Wehlmann an, erst als Sportkoordinator, dann als Sportlicher Leiter. Der gelernte Schifffahrtskaufmann füllt einen Langzeitplan für die Lilien mit Leben, in dem Understatement großgeschrieben wird.
Schon im Vorjahr klopfte Darmstadt hörbar ans Tor zur ersten Liga, auf der Zielgeraden führte eine Mischung aus Unerfahrenheit und Pech zum knappen Scheitern als Tabellenvierter.
Trainer Lieberknecht setzt auf Pragmatismus
In weiten Teilen blieb der Kader danach zusammen, und Trainer Torsten Lieberknecht gestaltet den Ansatz noch pragmatischer. Der 49-Jährige hat seinen früheren offensivbetonten Spielstil ein Stück weit aufgegeben, seine Mannschaft funktioniert als kompakte Einheit vor allem gegen den Ball bestens: Sie hat in den letzten elf Liga-Spielen ganze fünf Gegentore kassiert.
Torsten Lieberknecht: Automatismen auf und Anstand neben dem Platz sind zwei seiner Prinzipien.22.01.2023 | 8:02 min
Die Spieler folgen seinen Vorgaben fast bedingungslos, die Elf wirkt trotz der vielen Ausfälle enorm eingespielt, die Leistungsbereitschaft gilt schon im Training als hoch. Der gebürtige Kurpfälzer hat sich als Glücksgriff erwiesen, fühlt sich nicht nur im Klub, sondern in der Stadt wohl.
Lieberknecht mit "Bauchgefühl für den Club"
Genau wie früher bei Eintracht Braunschweig saugt Lieberknecht Honig aus der Tatsache, an der Fankultur oder dem Stadtleben direkt teilhaben zu können.
"Er hat die Qualitäten und auch das richtige Bauchgefühl für den Klub, er hat einen fordernden Charakter - das passt alles sehr gut zu unserem Verein“, sagt Wehlmann.
Vorsorglich hat der Aufstiegskandidat den Vertrag mit seinem Coach langfristig verlängert. Die Erfolgsgeschichte ist mit dem Nachbarschaftsduell im Pokal in Frankfurt schließlich längst noch nicht zu Ende.